Aus: Gehirn&Geist, Mai 2008
Wer im Job international kooperieren will, muss sich mit der landestypischen Arbeitsweise auskennen – sonst kommt es schnell zu Missverständnissen. Pünktlichkeit und Regulierungswut gelten als Manie der Deutschen – doch ist das wirklich gerechtfertigt? Wie kulturell geprägte Wertvorstellungen tatsächlich unseren Arbeitsstil und das Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Mitarbeitern beeinflussen, darüber berichtet die neueste Ausgabe von Gehirn&Geist (5/2008).
An der „Globe-Studie“ (kurz für: Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness), der mit Abstand umfangreichsten interkulturell vergleichenden Untersuchung zum Thema Führung in Unternehmen, wirkten weltweit 170 Forscher mit. Sie befragten in den letzten Jahren 17000 Mitarbeiter der mittleren Führungsschicht verschiedener Unternehmen aus den Branchen Telekommunikation, Finanzdienstleistung und Lebensmittelproduktion in 62 Ländern.
Dass deutsche Kollegen sich in Meetings oft bis zur Schamgrenze kritisieren und trotzdem nachher in der Kantine lachend zusammensitzen, erstaunt Menschen aus Ländern wie Indien, wo man Unangenehmes nicht so unverblümt zur Sprache bringt. Die sich daraus ergebende Frage, wer sich in multikulturellen Teams wem anpassen sollte, muss je nach Situation entschieden werden. Kooperieren die Mitarbeiter vorwiegend virtuell und treffen sich nur selten persönlich, sollte ein bestimmter Arbeitsstil von vornherein verhandelt werden. Damit dies gelingt, müssen sich alle Beteiligten der kulturell unterschiedlich geprägten Arbeitsweisen bewusst sein.
Die „Globe“-Forscher definierten insgesamt neun verschiedene Kulturdimensionen, die bei der Arbeit und in Organisationen zum Tragen kommen. Dazu gehört die „Machtdistanz“ zwischen Mitarbeitern und Chef genauso wie die „Leistungsorientierung“ – wie hervorragende Leistungen gefördert und belohnt werden. Auch die „Bestimmtheit“, also das Ausmaß, in dem Personen Konfrontationen suchen oder vermeiden, variiert je nach Kultur. Die Befragten sollten jedoch nicht nur den Ist-Zustand in ihrem Unternehmen einschätzen, sondern ebenso angeben, was sie für ideal halten. Demnach würden zum Beispiel die Manager in allen untersuchten Kulturen eine geringere Machtdistanz bevorzugen. Ob diese Kluft zwischen „Ist“ und „Soll“ Ausdruck eines Wertewandels weg vom autoritären, hin zum kooperativen Führungsstil ist, sollen nun Langzeitstudien zeigen.