Aus: epoc, 04/08
»Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.« Ohnmacht und Entfremdung als Grundgefühl des 20. Jahrhunderts empfanden wohl nur wenige so eindringlich wie Franz Kafka (1883 – 1924), dessen Geburtstag sich am 3. Juli zum 125. Mal jährt. Geprägt vom Untergang der österreichischen Monarchie – Kafka verbrachte den größten Teil seines Lebens in Prag –, von den Schrecken des Ersten Weltkriegs und den folgenden Wirtschaftsnöten zeichnen seine Texte das Bild einer verwundeten Welt.
Quelle seiner Inspiration war die Unzulänglichkeit des eigenen Lebens, wie "epoc 4-2008" nun erinnert. So litt Kafka sein Leben lang unter dem strengen Regiment des Vaters. Schon dessen imposante Statur ängstigte ihn, der von schwächlicher Statur war und zur Krankheit neigte. Eine weitere Konstante bildete die Auseinandersetzung mit dem Zionismus. Kafka war der Spross einer jüdischen Familie, die es zum Preis der Anpassung in Prag zu Wohlstand gebracht hatte.
Das während des Ersten Weltkriegs 1917 entstandene, wenig bekannte Textfragment »Beim Bau der chinesischen Mauer« verdeutlicht Kafkas Arbeitsweise. Den Verfall Österreichs und die politischen Auseinandersetzungen der Zeit übertrug er darin symbolhaft auf das ferne China und das Vorhaben, durch den Bau der Großen Mauer das Reich zu schützen. Kafka fragte in seinem Text nach Zusammengehörigkeit und Identität in einem Vielvölkerstaat, legte die tiefgehende Entfremdung zwischen Herrschenden und Volk offen, das oft noch längst verstorbene Kaiser verehrt – der Palast in Peking ist weit von den Untertanen entfernt.
Kafka feilte oft akribisch an seinen Erzählungen. Während er manche der kürzeren in einem Guss schrieb, blieben längere, insbesondere die drei Romane, oft unvollendet – die unlösbaren Konflikte seiner Hauptfiguren machten dem Autor einen Abschluss der Erzählung unmöglich.
Unvollendet blieb auch sein Leben: Seinem Traum, in Israel neu anzufangen, setzte die Tuberkulose ein Ende. Unermüdlich arbeitete Kafka auf dem Krankenbett, als er schon nicht mehr in der Lage war zu sprechen. Er starb am 3. Juni 1924 und wurde auf dem jüdischen Friedhof im Prager Stadtteil Straschnitz beigesetzt.