Neue archäologische Befunde stellen die Chronologie Palästinas in Frage
Aus: Spektrum der Wissenschaft, Dezember 2008
Biblische Geschichte und archäologische Befunde passen nicht immer zusammen. Meist wird dann die Tauglichkeit der Heiligen Schrift als historische Quelle in Zweifel gezogen. Doch was ist, wenn es die Archäologie ist, die irrt?
Unstimmigkeiten ergeben sich beispielsweise aus der Datierung der Epochen Palästinas. So ordnen Forscher die Zeit der Könige Salomon und David – in der archäologischen Periodisierung entspricht dies der Eisenzeit II A – bislang dem 10. vorchristlichen Jahrhundert zu, beginnend um das Jahr 1000 v. Chr. Doch für diese Phase fehlen Überreste der unter diesen Herrschern laut Altem Testament errichteten Tempel und Palastbauten. Hat die Bibel also Unrecht?
Seit einigen Jahren fordert der Archäologe Israel Finkelstein eine Neubewertung der Funde, insbesondere jener Keramiken, die durch Stilvergleich zur Datierung von Siedlungsschichten dienen. Daraus aber folgte eine Korrektur der Chronologie Palästinas um gut 80 Jahre. Der britische Historiker Peter James und der Bibelarchäologe Peter van der Veen gehen noch weiter: Im Dezemberheft von »Spektrum der Wissenschaft« legen sie ihre Argumente dar, warum die Frühe Eisenzeit ihrer Meinung nach sogar erst um 880 oder 870 v. Chr. begann – und manche palastartige Anlage den fraglichen Königen zuzuschreiben ist.
Gerade die Scherben im Fundgut liefern dafür gute Argumente. So kam in einer Palastanlage in Samaria Keramik der Eisenzeit II A zu Tage, laut Bibel aber entstand der Monumentalbau erst lange nach Salomon und David unter dem König Omri. Und dieser ist durch assyrische Annalen als historische Person des 9. Jahrhunderts v. Chr. nachgewiesen. Schlussfolgerung: Die Eisenzeit II A begann mehr als 100 Jahre später als angenommen.
Eine Korrektur der Chronologie des Heiligen Landes aber hätte weit reichende Folgen. Tatsächlich beruht die gängige Datierung der Keramikstile wesentlich auf der Chronologie Ägyptens, war der Pharaonenstaat doch gut zwei Jahrhunderte lang Herr über Palästina. Und so stellen James und van der Veen gemeinsam mit einer kleinen, aber wachsenden Zahl von Kritikern auch dessen Zeitrechnung in Frage.
Zu ihrer Gruppe gehört auch der Brite David Lappin, der Himmelsbeobachtungen ägyptischer Priester anhand astronomischer Tabellen zu rekonstruieren suchte. Er errechnete dann besonders viele Übereinstimmungen, wenn er eine Kalenderreform im Ägypten des 2. Jahrtausend v. Chr. unterstellte. Diese würde aber die bisherige Chronologie über den Haufen werfen, da alle Umrechnungen antiker Datumsangaben auf der Annahme eines über Jahrtausende unveränderten Kalenders basieren.
Ein Beweis ist dies freilich noch nicht, auch Lappin musste für seine Kalkulationen Annahmen treffen, die der Überprüfung bedürfen. Zudem lieferten Naturwissenschaftler erst vor kurzem den Vertretern der Standardchronologien ein Argument: Kupferminen im heutigen Jordanien, genauer gesagt Samen und Holzreste aus den Schlackeablagerungen, datierten sie mit der Radiokarbonmethode auf das 10. Jahrhundert v. Chr. – traditionell die Zeit Salomons. Der aber herrschte laut biblischer Überlieferung über die Region, die lukrative Kupfergewinnung könnte den Reichtum des Königs erklären. Auch wenn sich die Hinweise mehren, dass die Geschichtsbilder Ägyptens und Palästinas korrekturbedürftig sind, bleibt die Diskussion also offen.