Montag, 15. November 2010

Neandertaler: Unterschätzte Urmenschen

Von wegen primitiv! Neuen Erkenntnissen zufolge besaß der Neandertaler ähnlich gute Geistesgaben wie der moderne Mensch – und sogar Kunstsinn.

Aus: Gehirn&Geist, Dezember 2010

Sie galten lange als stumpfsinnig und animalisch: die Neandertaler. Bis weit ins 20. Jahrhundert trauten Forscher dem Urmenschen, dessen Existenz erstmals 1856 entdeckte Knochenfunde belegten, nur geringe Intelligenz zu. Doch wie die neue Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Gehirn&Geist (12/2010) berichtet, hat sich das Bild von tumben Keulenschwingers inzwischen gewandelt.

So bezweifelt heute niemand mehr, dass der Homo neanderthalensis wie der moderne Mensch Homo sapiens aufrecht ging; sein Gehirn war sogar etwas größer als das unsrige. Der Neandertaler verfügte über hoch entwickelte Steinzeitwerkzeuge und erfand einen Klebstoff, mit dem sich Steinklingen an hölzernen Griffen befestigen lassen. Bei der Jagd kooperierte er mit Artgenossen, er pflegte Kranke und bestattete Verstorbene. Konnte der Urmensch womöglich sogar sprechen?

Ein fossiles Neandertaler-Zungenbein bewies jedenfalls, dass unser Vetter aus der Eiszeit anatomisch dazu durchaus in der Lage war. Und vor drei Jahren konnten Paläogenetiker nachweisen: Der Neandertaler besaß das gleiche Sprachgen wie wir. Das nahezu komplett entzifferte Genom des Neandertalers offenbarte zudem, dass sich einige seiner Gene auch in unser Erbgut eingeschlichen haben. Wir sind also enger miteinander verwandt als bislang angenommen.

Kunstgegenstände aus der Neandertalerzeit deuten nach Ansicht vieler Experten auf eine ästhetische Ader des Urmenschen: So schmückte er sich mit Muschelschalen und Tierknochen und könnte sogar Farben als Kosmetik benutzt haben. Der portugiesische Paläoanthropologe João Zilhão, der einige dieser Schmuckstücke entdeckte, erläutert im Interview mit Gehirn&Geist, dass Homo neanderthalensis und Homo sapiens vermutlich derselben biologischen Arten angehörten. Deshalb hätten wohl auch die geistigen Fähigkeiten des Neandertalers denen des heutigen Menschen kaum nachgestanden.

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