Mittwoch, 24. August 2011

Endokrinologie - Warum Umwelthormone schaden

Mediziner und Molekularbiologen spüren Täuschungstricks von hormonähnlichen Stoffen im Körper auf

Aus: Spektrum der Wissenschaft, September 2011

Schlagzeilen machen solche Moleküle seit vielen Jahren: als Bestandteile vieler praktischer Materialien unserer modernen Welt. In Verruf gerieten unter anderem verschiedene Plastikstoffe, Spritzmittel, Schutzanstriche oder Flammschutzmittel, und sogar einige Medikamente reihen sich ein – in die "Umwelthormone", oft Xeno- oder Fremdhormone genannt. Experten bezeichnen sie als endokrine Disruptoren, als hormonelle Störenfriede, denn sie verändern hormonelle Abläufe im Körper. Bei Tieren geht das bis hin zur Geschlechtsumwandlung. Vom Menschen gibt es Beispiele für Infertilität, Missbildungen der Geschlechtsorgane oder auch einige Krebsformen.
In der Mehrheit handelt es sich um synthetische Chemikalien, deren Eigenschaften viele früher zunächst begrüßten, wie etwa das Insektizid DDT. Erst allmählich wurde deutlich, dass diese hormonähnlichen Stoffe Tier und Mensch schaden können, denn sie gelangen in die Umwelt, und wir nehmen sie über die Luft, mit Wasser und mit Lebensmitteln, teils wohl sogar über die Haut auf. Aber auch einige Medikamente erweisen sich letztlich als wenig segensreich, zum Beispiel ein Wirkstoff, der Fehl- und Frühgeburten verhindern sollte, von dem sich später aber herausstellte, dass viele der Kinder Anomalien aufweisen. Wie aber wirken solche Umwelthormone im Organismus? Und warum können ihre winzigen Konzentrationen überhaupt Körperfunktionen oder die Entwicklung von Geschlechtsorganen stören? Neuere Erkenntnisse dazu liefern die französischen Wissenschaftler Marie Thomé, Jean Pierre Cravedi und Vincent Laudet in der Septemberausgabe von "Spektrum der Wissenschaft". Sie arbeiten in Frankreich an verschiedenen Nationalinstituten, unter anderem bei der Forschungseinrichtung INRA.

Die Bandbreite der Wirkungen einzelner solcher Stoffe im Körper ist oft erschreckend. Zum Beispiel der "Weichmacher" Bisphenol A aus Plastik: Diese Substanz und manche ihrer Abbauprodukte konkurrieren im Organismus unter anderem mit dem weiblichen Hormon Östrogen. Die Fremdlinge lagern sich an dieselben Erkennungsmoleküle an, die normalerweise von den Hormonen besetzt werden. In manchen Fällen aktivieren sie dann Gene, in anderen hemmen sie welche. Obendrein machen sie auch einem Erkennungsmolekül für männliche Hormone Konkurrenz. Und sie mischen sich bei den Schilddrüsenhormonen ein sowie bei der Wirkung von Vitamin A.

Im Einzelnen sind die meisten solchen Störungen von Hormonfunktionen bisher gar nicht leicht nachweisbar, und schon gar nicht deren direkte Folgen und Schäden – eben weil dermaßen viele Einwirkungen zusammenkommen. Deswegen können die Forscher auch noch nicht mehr als einen schweren Verdacht äußern, dass Umwelthormone etwa bei Allergien, vielleicht auch bei der zunehmenden Fettsucht, mit im Spiel sind. Einstweilen mahnen Marie Thomé und ihre Kollegen zu großer Vorsicht im Umgang mit den Xenohormonen – zumindest solange, bis wir über die Effekte und Schadwirkungen Genaueres wissen.