Donnerstag, 24. November 2011

FemBio Frau des Monats: Arundhati Roy (geboren 1961)

Indische Schriftstellerin, politische Aktivistin und Globalisierungskritikerin
50. Geburtstag am 24. November 2011


Im November 2011 wird eine der bedeutendsten Frauengestalten Indiens 50 Jahre alt. Arundhati Roy, die mit ihrem Roman »Der Gott der kleinen Dinge« weltweiten literarischen Ruhm erlangte, beließ ihren Einsatz für eine lebenswerte Gesellschaft nicht beim Schreiben. Sie protestiert gegen Umweltzerstörung, Vertreibung und Krieg und legt sich ohne Scheu mit Staatsgewalten und Konzernen an.

»Es ist die Neugier, die mich antreibt. Sie führt mich tief ins Herz der Welt.«

Arundhati Roy schreibt mit ganzem Herzen, sie schreibt um zu provozieren, um zu bewegen. Die weit über die Grenzen Indiens hinaus bekannte Schriftstellerin ist eine der radikalsten VerfechterInnen des gewaltlosen Widerstands gegen staatliche Willkür, gegen Krieg und Umweltzerstörung und gegen die Entrechtung der Armen.

Suzanna Arundhati Roy wurde 1961 in Shillong, in Meghalaya als Tochter einer Thomaschristin und eines Hindu geboren und wuchs in Aymanam im südindischen Bundesstaat Kerala auf. Ihre Mutter ließ sich früh von ihrem Vater scheiden und gab ihrer Tochter einen guten Rat mit auf den Weg: »Was auch immer du tust, heirate nie. Und schlaf erst mit einem Mann, wenn du finanziell unabhängig bist.« Roys Kindheit und Jugend war– für ein Mädchen der Mittelschicht – angenehm unkonventionell. Sie konnte frei und unbeaufsichtigt herumstreunen und schwärmt noch heute von dieser Zeit. Das Leben, das ihre Mutter und sie außerhalb der traditionellen indischen Kastengesellschaft führten, hatte jedoch auch Schattenseiten ohne finanzielle Unterstützung und soziale Stabilität.

Mit sechzehn Jahren zog Roy von zu Hause aus und lebte mit Freunden in einer Armenkolonie in Neu-Delhi. Ihr neues Heim war eine Hütte aus Wellblech, Geld verdiente sie sich durch das Sammeln und Verkaufen von leeren Flaschen, bis sie schließlich begann, an der Delhi School of Architecture zu studieren. Den Rat ihrer Mutter hatte sie nicht befolgt, denn als sie 1984 den Filmemacher Pradeep Kishen traf und heiratete, war dies bereits ihre zweite Ehe. Sie begann, sich für die Produktion von Filmen zu interessieren, spielte kleine Rollen, schrieb mehrere Drehbücher und begann 1992 mit der Arbeit an dem Roman, der sie weltberühmt machen sollte: »Der Gott der kleinen Dinge«.

Die 1997 erschienene, halb biografische Geschichte spielt in Roys Heimatdorf und erzählt aus der Sicht der Zwillinge Estha und Rahel die Tragödie dreier Generationen aus der christlichen Oberschicht. Starres Kastendenken, die gnadenlose Unterdrückung der Frauen, wegbrechende Lebensgrundlagen und eine in der Katastrophe endende Liebe werden nach und nach aus den halbverschütteten Erinnerungen der Kinder sichtbar. Roys ProtagonistInnen sind verwundet und verzweifelt, sie scheitern an ihren Träumen, aber sie hören nie auf, um die kleinen und die großen Dinge im Leben zu kämpfen.

Zwei britische Verlage zeigten Interesse an dem Manuskript, doch bevor Roy sich für einen von ihnen entscheiden konnte, hatte der Literaturagent David Godwin es gelesen, bestieg kurz entschlossen ein Flugzeug von England nach Indien und überzeugte sie, ihn als ihren Manager einzustellen. Er machte seinen Job gut: kurze Zeit später überboten sich acht Verlagshäuser gegenseitig, bis Roy die Publikationsrechte schließlich an Random House verkaufte. »Der Gott der kleinen Dinge« erhielt noch im selben Jahr den britischen Booker Prize und ist bis heute in 21 Ländern verlegt worden.

Arundhati Roy nutzte in der Folgezeit ihre finanziellen Mittel und ihre internationale Berühmtheit, um sich wirkungsvoll politisch zu engagieren. Sie setzte sich vor allem gegen die atomare Aufrüstung Indiens und Pakistans ein und wandte sich in ihren Schriften gegen den Raubbau an der Natur und die Ausbeutung der ärmsten Teile der indischen Bevölkerung, insbesondere der Dalit und der Adivasi. So hielt sie in ihrem Essay »…dann ertrinken wir eben« fest, wie diese von Regierung rücksichtslos vertrieben wurden, um Platz für ein Staudammprojekt an der Narmada zu schaffen. In ihren Texten beschäftigte sich nun ganz mit der Skizzierung von politischen und sozialen Themen. »Als Sklavin, die sich erdreistet, ihren König zu kritisieren« wurde sie zu einer der bekanntesten Sprecherinnen der Umwelt- und Friedensbewegung, kritisiert scharf den Irakkrieg der USA und fordert zu zivilem Ungehorsam und offenem Widerstand gegen neoliberale Globalisierungsprozesse auf.

2004 wurde Arundhati Roy für ihr Engagement mit dem Sydney Peace Prize ausgezeichnet. Anfang 2006 sollte ihr Nachrichten zufolge der höchste indische Literaturpreis verliehen werden, sie jedoch lehnte mit der Begründung ab, sie könne die vom Staat finanzierte Auszeichnung nicht annehmen, da sie gegen verschiedene Aspekte der indischen Regierungspolitik Abscheu hege.

Im April 2010 bereiste Roy die Dschungel Zentralindiens und besuchte die dort lebenden marxistischen Guerillagruppen. Für den Bericht ihres Besuchs, »Wanderung mit den Genossen«, in welchem sie ihre Sympathie mit der Gruppe bekundet, wurde ihr mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht. Statt sich zu entschuldigen, spricht sie von einem »Krieg gegen die Armen« und fordert die Regierung auf, sich endlich für die Benachteiligten im eigenen Land einzusetzen, denn, so Roy, »es reicht nicht mehr, nur Recht zu haben. Wir müssen gewinnen.«

Britta Meyer und Kerstin Reimers

Original-FemBiografie zu Arundhati Roy unter http://www.fembio.org.