Montag, 12. Dezember 2011

Aufbruch in eine „gläserne Zukunft“




















Innovatives Hightech-Glas: Ein ostbayerisches Unternehmen hat die alte Handelstradition ins 21. Jahrhundert getragen und lässt den bayerisch-böhmischen Glashandel wieder aufleben – allerdings ganz anders als zu Zeiten der Urgroßväter.


Schönsee (ce-press - internet-zeitung) – Es gibt kaum ein Handwerk, das Böhmen und Bayern länger verbindet als die Arbeit mit dem Rohstoff Glas. Böhmische Hüttenbetriebe lieferten ihr Glas schon vor zweihundert Jahren nach Bayern, wo es findige Oberpfälzer Glasschleifer bearbeiteten, veredelten – und sich schnell im gesamten Deutschen Reich einen Namen machten. Die meisten Glashütten im Böhmerwald mit ihren heißen Feuern und den weithin sichtbaren Öfen und auch die Glasschleifer-Stuben im Osten Bayerns sind mittlerweile Touristenattraktionen. Die Glasindustrie ist heute ein Hightech-Handwerk, das weitestgehend hochmoderne Maschinen übernehmen. In Ostbayern ist sie bis heute zu Hause geblieben, wenn die Zeiten auch schwieriger und die Konkurrenz rund um den Globus größer geworden ist. Ein ostbayerisches Unternehmen hat die alte Handelstradition ins 21. Jahrhundert getragen und lässt den bayerisch-böhmischen Glashandel wieder aufleben – allerdings ganz anders als zu Zeiten der Urgroßväter. Die Unternehmensgruppe Irlbacher macht aus Flachglas ein Hightech-Produkt. Tschechien und der osteuropäische Markt sind unverzichtbare Mosaiksteine auf dem Weg in eine grenzenlose gläserne Zukunft.

Die Anfangsjahre von Irlbacher gleichen der Geschichte vieler Betriebe in der böhmisch-bayerischen Grenzregion: Johann Irlbacher gründet 1935 in Dietersdorf unweit der Grenze zu Böhmen eine Glasschleiferei. Nach den Wirren des Krieges nimmt dessen Sohn Josef den Betrieb wieder auf: elektrische Schraubsicherungen, Glasabdeckungen für die Tasten von Schreibmaschinen, Dia-Gläser. Anfang der siebziger Jahre nimmt der Sohn des Gründers und heutige Seniorchef Josef Irlbacher junior das Schicksal der kleinen Glasschleiferei in seine Hände. Rund zehn Frauen schneiden zu dieser Zeit jeden Tag 30.000 bis 35.000 Gläser – in Handarbeit. Die Wirtschaftskrise trifft das kleine Familienunternehmen. Neue Absatzmarkte müssen her. Irlbacher stellt den Betrieb von Hand- auf Maschinenfertigung um.

Das Unternehmen produziert jetzt für Messgeräte, Armaturen und die Leuchtenindustrie – und beginnt eine intensive und bis heute erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Mainzer Unternehmen Schott-Glas. Es gilt als Spezialist für hochhitzebeständige Gläser wie Glaskeramik und Borosilikatglas. Das Konzept geht auf: Ende der achtziger Jahre hat das Unternehmen 65 Mitarbeiter und grundsolide Aussichten für die Zukunft.

Aber in diesen Monaten passiert etwas, das niemand vorausgeahnt hatte: der Eiserne Vorhang, der seinerzeit beinahe in Sichtweite zu den Produktionshallen verläuft, bekommt über Nacht Risse. „Plötzlich waren wir in Schönsee nicht mehr das Ende der Welt, sondern Brückenkopf zu den neuen Märkten in Tschechien und Osteuropa“, erinnert sich Seniorchef Josef Irlbacher heute. Er ergreift die Chance und baut schon 1991 erste Kontakte in die Tschechoslowakei und nach Ungarn auf. Es sind Netzwerke, von denen Irlbacher bis heute profitiert. Ein Schwerpunkt: Hitzebeständige Gläser rund um den Kaminofen, die Temperaturen von bis zu 700 Grad Stand halten.

Heute ist der tschechische Markt für Irlbacher einer unter vielen: aktuell hat das Unternehmen in zehn Ländern Vertriebsstellen für seine hochinnovativen Glasprodukte. Und doch hat Josef Irlbacher zu den direkten Nachbarn eine ganz besondere Beziehung. Dass die weithin sichtbaren Glasfassaden des bayerisch-böhmischen Kulturzentrums „Centrum Bavaria Bohemia“ in seinem Heimatort Schönsee aus dem Hause Irlbacher stammen – für den Brückenbauer Irlbacher Ehrensache. Im dortigen Förderverein sitzt er im Vorstand und unterstützt den kulturellen Brückenschlag nach Kräften – auch finanziell. Viel Aufhebens macht er darum nicht. Es ist seine Art, die Wertschätzung für seine Heimatregion und auch die Menschen dort zu zeigen. „Wir halten unseren Sitz in der ‚Provinz’ für einen großen Vorteil. Dort gibt es noch die heute immer wieder geforderten Tugenden wie Gemeinschaftssinn, persönliche Nähe, Kommunikation und Ehrgeiz“, sagt der heute 61-Jährige.

Betriebswirtschaftlich ist Irlbacher heute ein Vorzeige-Unternehmen, wie es in dem ehemaligen „Zonenrandgebiet“ nur wenige gibt: In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Umsatz von 20 auf 50 Millionen Euro erhöht. Die Zahl der Mitarbeiter ist sogar noch stärker gewachsen: von 164 im Jahr 2002 auf etwa 400 im Jahr 2011. Rund 20 Millionen Euro hat Irlbacher in den vergangenen acht Jahren am Standort Schönsee in die Zukunft investiert. Irlbacher gehört heute zu den führenden europäischen Unternehmen im Bereich der Spezialglas-Veredlung. Bis zu 20 verschiedene Arbeitsschritte kann dieser Prozess umfassen – vom klassischen Fräsen und Schleifen bis hin zu hochkomplexen Arbeitsgängen wie dem Wasserstrahlschneiden und Härten, Siebdrucken, Beschichten und Lasern.

Auf über 20.000 Quadratmetern Produktionsfläche werden im Jahr 2.500 Tonnen Rohglas für rund 1.300 Kunden zu innovativen und hochwertigen Glasprodukten verarbeitet. Die Absatzmärkte für diese Spezialprodukte liegen vor allem in der Kaminofen-, Leuchten-, Hausgeräte-, Sanitär-, Medizin- und optischen Industrie, sowie in der Gebäudetechnik. Das 2010 patentierte „schaltbare Glas“, wo elektrische Schaltungen auf das Glas gedruckt werden, kommt einer kleinen Revolution in der Gebäudetechnik gleich. Es ist vor allem dieser technische Vorsprung, mit dem Irlbacher auf dem Weltmarkt punktet und immer wieder Prestigeaufträge an Land zieht: von der dänischen Nationaloper in Kopenhagen bis hin zur Zentrale des Fußball-Weltverbandes, wo gläserne Irlbacher-Stelen das Gebäude ins rechte Licht setzen.

Seniorchef Josef Irlbacher ist optimistisch: Auch in den kommenden Jahren wird das Traditionsunternehmen die alte Tradition des Glashandels erfolgreich in die Zukunft tragen und weiter expandieren. Renommierte Unternehmenspreise – wie der Bayerische Gründerpreis 2011 in der Kategorie „Aufsteiger“, der Innovationspreis des Mittelstandes 2009 oder die zweimalige Platzierung unter Bayerns „Best 50“ – bestätigen den Weg der Irlbachers, wo inzwischen mit den beiden Söhnen Günther und Stephan längst die nächste Generation mit am Steuer sitzt.