Mittwoch, 22. Februar 2012

Mittelgewichte unter den Schwarzen Löchern

Astronomen entdecken einen neuen Typ der galaktischen Gravitationsmonster

Aus: Spektrum der Wissenschaft, März 2012

Die dunklen Himmelskörper sorgen bei Astrophysikern für helle Begeisterung: Schwarze Löcher von knapp einer Million Sonnenmassen liefern Informationen über die Entstehung ihrer massereicheren Geschwister sowie ganzer Galaxien. Wie "Spektrum der Wissenschaft" in seiner aktuellen März-Ausgabe berichtet, haben amerikanische Astronomen in einer mehrjährigen Suchaktionen so viele Objekte dieses Typs entdeckt, dass sie von einer neuen Population dieser Objekte sprechen, die ihre eigene Entstehungsgeschichte haben.

Noch größere Schwarze Löcher, mit Milliarden Sonnenmassen, gab es bereits im frühen Universum. Zwei dieser Riesen mit je zehn Milliarden Sonnenmassen wurden erst Ende 2011 entdeckt. Zum Vergleich: Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße bringt es gerade einmal auf 4,3 Millionen Sonnenmassen, weit weniger als ein Tausendstel davon.

Das rasche Wachstum dieser Giganten ist noch immer ein großes Rätsel der Astronomie. Zwei Szenarios halten die Forscher für möglich: das Verschmelzen zahlreicher kleiner Schwarzer Löcher, die aus kollabierenden Sternen entstanden. Oder es kollabierten direkt gewaltige Wolken aus kosmischem Urgas zu großen Schwarzen Löchern. Sie versuchen diese Rätsel zu lösen, indem sie nach übrig gebliebenen Schwarzen Löchern mit mittlerer Masse suchen. Erste Hinweise zeigen, dass mittelgroße Schwarze Löcher, die durch einen direkten Kollaps entstanden, vor allem im frühen Universum eine wichtige Rolle spielten.

Seit einigen Jahrzehnten wissen Astronomen, dass fast jede große Galaxie in ihrem Zentrum ein gigantisches Schwarzes Loch enthält – ein Objekt also, dessen Schwerkraft so groß ist, dass aus ihm nicht einmal Licht entweichen kann. Der Tod von Sternen kann kleine Schwarze Löcher produzieren – mit Massen von 3 bis 100 Sonnen– winzig im Vergleich zu den Giganten in Galaxienzentren.

Diese supermassereichen Schwarzen Löcher stellen uns Forscher vor große Rätsel: Warum treten sie in Galaxien so häufig auf? Was war zuerst – die Galaxie oder das Schwarze Loch? Und schließlich: Wie sind sie entstanden? Das Rätsel wird noch dadurch vergrößert, dass es offenbar bereits im jungen Kosmos supermassereiche Schwarze Löcher gab. Im Juni 2011 berichtete ein Astronomenteam über die Entdeckung des bislang ältesten solchen Objekts: Bereits vor 13 Milliarden Jahren, also gerade mal 770 Millionen Jahre nach dem Urknall, enthielt es bereits zwei Milliarden Sonnenmassen. Wie konnte es in so kurzer Zeit zu solcher Größe anwachsen?

Eine derart schnelle Entstehung dieser Objekte ist verblüffend. Denn Schwarze Löcher haben nicht nur eine Reputation als gewaltige "Staubsauger", sondern auch als "Laubbläser". Wenn nämlich Gas auf ein Schwarzes Loch zustürzt, dann akkumuliert es sich zunächst in einer großen rotierenden Scheibe, die um den Massegiganten kreist: in der so genannten Akkretionsscheibe. Dort heizt sich die Materie auf und sendet Strahlung aus, und zwar umso mehr, je mehr sie sich dem Punkt ohne Wiederkehr am inneren Rand der Scheibe nähert.

Nachfolgende einfallende Materie wird durch diese Strahlung jedoch wieder fortgeblasen und begrenzt so das mögliche Wachstum durch Akkretion, also das Einverleiben von Gas und Staub aus der galaktischen Umgebung. Physiker haben berechnet, dass ein Schwarzes Loch, das sich andauernd Materie mit der maximalen Rate einverleibt, alle 50 Millionen Jahre seine Masse verdoppeln kann. Das aber ist viel zu langsam, um in knapp einer Milliarde Jahren aus einem ursprünglich stellaren Schwarzen Loch ein Milliarden-Sonnenmassen-Monster zu machen.

Astrophysiker haben deshalb zwei Wege vorgeschlagen, wie sich die "Saatkörner" der supermassereichen Schwarzen Löcher bilden können. Die ursprüngliche, bereits vor vielen Jahren entwickelte Idee geht davon aus, dass die ältesten großen Schwarzen Löcher tatsächlich die Überreste explodierter Sterne sind. Die ersten Sonnen im Kosmos hatten vermutlich im Vergleich zu heutigen Sternen extrem große Massen. Der Grund dafür ist, dass die Wolken aus dem kosmischen Urgas noch kaum schwerere Elemente enthielten, die das Gas stark abkühlen und so kleinere Verdichtungen hätten ermöglichen können.

Die riesigen Sterne waren schnell ausgebrannt und produzierten Schwarze Löcher mit etwa der 100-fachen Sonnenmasse. Danach muss ein Prozess eingesetzt haben, der diese Schwarzen Löcher anders und schneller anwachsen ließ als nur über die Akkretion. Eine Möglichkeit dazu bieten dichte Sternhaufen. In ihnen versammeln sich die größten Sterne (und Schwarzen Löcher) in der Nähe des Haufenzentrums. Zusammenstöße und Verschmelzungen von Schwarzen Löchern können dort die übliche Wachstumsbegrenzung überlisten und zu einem raschen Anwachsen auf 10.000 Sonnenmassen führen. Das weitere Wachstum kann dann wieder über gewöhnliche Akkretion voranschreiten, wobei vielleicht noch das eine oder andere große Schwarze Loch mit auf dem Menüplan steht.

Die Autorin des Spektrum-Artikels, Jenny E. Greene von der Princeton University, hat sich deshalb mit anderen Forschern auf die Suche nach dieser neuen Art von Schwarzen Löchern gemacht. Sie wollten nachsehen, ob die Häufigkeit und der Massenbereich solcher Objekte besser mit dem Sternkollaps- oder dem Gaswolkenkollapsmodell übereinstimmte. Als sie vor sieben Jahren ihre Arbeit aufnahmen, war die Lage alles andere als viel versprechend. Astronomen kannten damals erst ein einziges Schwarzes Loch mittlerer Masse und hielten es daher für eine Ausnahme. Doch inzwischen haben wir hunderte weitere entdeckt.

Die Durchmusterung bestätigte, was sie auf Basis der ersten Funde bereits vermutet hatten – es gibt tatsächlich eine größere Population von Schwarzen Löchern mittlerer Masse. Und, was sie ebenfalls erwartet hatten: Diese Himmelskörper finden sich überwiegend in Galaxien, die keine große Ausbeulung in ihrem Zentrum haben (den so genannten "Bulge"). Trotzdem scheinen die Mittelgewichte vergleichsweise selten zu sein. Nur eine von 1000 Galaxien, die hell genug strahlen, um bei der Sloan-Durchmusterung erfasst zu werden, liefert auch Hinweise auf ein solches Objekt.

Noch gibt es spannende offene Fragen: Treten die Mittelgewichte häufiger in speziellen Arten kleiner Galaxien auf? Oder sind ihre Schwarzen Löcher nur zu klein, um bislang entdeckt zu werden? Besitzen vielleicht alle Galaxien ohne Bulge Schwarze Löcher mit 10.000 bis 100.000 Sonnenmassen, die kaum Licht oder Röntgenstrahlung aussenden?

Antworten auf diese Fragen könnte die Theorie der supermassereichen Schwarzen Löcher in neue Richtungen lenken.