Dienstag, 14. Februar 2012

Warum die Aussprache ins Stottern gerät

Etwa einem von hundert Erwachsenen in Deutschland gelingt nicht, was den meisten Menschen selbstverständlich erscheint: flüssig zu reden. Am Beispiel des englischen Königs Georg VI. erfuhr kürzlich ein Millionenpublikum von Kinogängern, was es heißt, an dieser Aufgabe zu scheitern. Der Film “The King’s Speech” gab Einblicke in die Gefühlswelt stotternder Menschen. Doch wie entsteht eigentlich diese Sprechstörung?

Aus: Gehirn&Geist, März 2012

Auch der Neurophysiologe Martin Sommer ist von der Sprechstörung betroffen. Als Forscher an der Universität Göttingen hat er sich der Suche nach den Ursachen des Stotterns verschrieben. Wie er in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins “Gehirn&Geist” (Ausgabe 3/2012) berichtet, scheint eine gestörte Kommunikation wichtiger Sprachareale im Gehirn die Artikulation aus dem Tritt zu bringen.

Wenn Normalsprechende beispielsweise ein Wort laut vorlesen sollen, bereitet sich das Steuerzentrum ihrer Artikulationsorgane schon frühzeitig auf die Aufgabe vor. Bei stotternden Probanden fehlt hingegen diese Voraktivierung – mit der Folge, dass die Areale ihren Einsatz verpassen. Den wahrscheinlichen Grund dafür haben Sommer und andere in der “weißen Substanz” des Gehirns gefunden. Dort verbinden lange Nervenzellbahnen weit auseinander liegende Hirnareale.

Auf Hirnscanneraufnahmen zeigte sich, dass bei stotternden Versuchspersonen die Faserbündel zwischen wichtigen Spracharealen schlechter ausgebildet sind und dementsprechend fehleranfällig werden. Es sei wie bei einem unscharf eingestellten Radiosender, erläutert der Forscher: Meist funktioniere die Übertragung zwar einigermaßen gut; kämen jedoch äußere Störfaktoren hinzu, breche die Sendung ab. Wer selber stottert oder Betroffene kennt, weiß, dass vor allem Stress den Sprachfluss zum Erliegen bringen.

Glücklicherweise ist das Gehirn dieser Einschränkung nicht hilflos ausgeliefert. In speziellen Therapien kann man lernen, mit der Einschränkung umzugehen. Laut ersten Forschungsergebnissen Frankfurter und Kassler Forscher verbessert das sogar die Qualität der Faserverbindungen im Hirn. Bei anderen Behandlungsverfahren üben Betroffene hingegen, die gesunde rechte Hirnhälfte zu aktivieren, etwa indem sie ihre Sprechweise variieren. So können sie die gestörten Leitungen im wahrsten Sinne links liegen lassen.

Eltern stotternder Kinder empfiehlt Sommer allerdings, sich vor dem Besuch eines Therapeuten umfassend zu informieren, denn nicht alle Verfahren seien gleichermaßen gut geeignet. Als erste Anlaufstelle können Selbsthilfegruppen dienen, etwa die Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe http://www.bvss.de, der auch der Forscher angehört.