Mittwoch, 23. Januar 2013

Bald neue Medikamente gegen Asthma?

Heidelberg. Lange galt Asthma als einheitliche Erkrankung, die ein einziger Immunzelltyp auslöst. Doch nun entdecken Forscher, wie komplex die Ursachen des Leidens sind, und hoffen, bald neue Medikamente für jene schweren Formen zu finden, die nicht auf Kortison ansprechen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft, Februar 2013

"Wir glaubten, wir wüssten über Asthma Bescheid, doch jetzt erweist es sich als viel komplizierter", meint der Immunologe Manfred Kopf von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich im Gespräch mit der amerikanischen Wissenschaftsjournalistin Amy Maxmen. Sie berichtet in der Februarausgabe von Spektrum der Wissenschaft über neue Erkenntnisse der Asthmaforscher und über die Hoffnung auf wirksame Therapien für besonders schwere Formen der Krankheit.

Zum Hintergrund: Den Lehrbüchern zufolge hängt Asthma mit einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen namens Typ-2-Helferzellen zusammen. Demnach tritt ein Anfall auf, wenn solche Zellen bestimmte Proteine freisetzen, die ihrerseits Immunreaktionen auslösen. Diese so genannten Zytokine verursachen Entzündungen in den Bronchien; der Patient ringt nach Luft mit dem für das Asthma typischen Giemen, einem pfeifenden Atemgeräusch. Doch kürzlich haben Forscher in Lungengewebe, Auswurf und Blut von Asthmapatienten ein weiteres Zytokin nachgewiesen, das nicht von Th2-Zellen stammt: das so genannte Interleukin-17 oder kurz IL-17.

Die neuen Forschungsergebnisse erweitern das gängige Erklärungsmuster enorm. Die Vielzahl der molekularen Signalwege des Immunsystems bedingt verschiedene Erscheinungsformen des vormals einheitlichen Krankheitsbilds. Durch Kartierung dieser Netzwerke hofft man Angriffspunkte für neue Medikamente zu finden, die gegen jede Art von Asthma wirken. Wenn die Forscher herausfinden, was den abnormen und schädlichen Anstieg des IL-17-Spiegels verursacht, können sie vielleicht auch klären, weshalb Asthma und andere von diesem Zytokin verursachte Krankheiten – zum Beispiel entzündliche Darmerkrankungen und Multiple Sklerose – in den Industrieländern fortwährend zunehmen.

Die Entdeckung von IL-17 in der Lunge mancher Asthmatiker lenkte die Aufmerksamkeit auf IL-17 produzierende Zellen, die zuvor niemand mit dem Leiden in Zusammenhang gebracht hatte. Bei schwerem Asthma tritt nicht nur auffallend viel IL-17 auf, sondern es finden sich auch gehäuft die Th17-Zellen, die speziell dieses Zytokin freisetzen. Im Tierversuch zeigen Mäuse mit erhöhten Th17-Werten kaum Besserung, wenn man ihnen Kortison verabreicht. Auf dieses Standardmedikament sprechen auch schwer erkrankte Menschen schlecht an. "In die Notaufnahme kommen meist die Patienten mit schwerem Asthma, denen Kortisonpräparate nicht helfen," erklärt Bart Lambrecht von der Universität Gent (Belgien). "Der Zusammenhang mit Th17-Zellen wurde erst in letzter Zeit hergestellt."

Indem die Th17-Zellen Zytokine absondern, verengen sie die Atemwege der Lunge. Unklar ist aber, was die Zellen veranlasst, die schädlichen Moleküle freizusetzen. Als mögliche Auslöser wurden Viren, Allergene, Zigarettenrauch und Luftschadstoffe verdächtigt. Beispielsweise fördert Zigarettenrauch die Vermehrung von Th17-Zellen, und Rauchen gilt als Risikofaktor für Asthma – doch der Zusammenhang zwischen beiden Beobachtungen ist noch nicht geklärt.

Damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende: Th17-Lymphozten sind wohl nicht die einzigen Zellen, die bei Asthmapatienten IL-17 produzieren. Der Kinderarzt Dale Umetsu von der Harvard Medical School und dem Children’s Hospital in Boston (Massachusetts) beobachtete an Labormäusen, dass auch natürliche Killer-T-Zellen – abgekürzt NKT-Zellen – das Zytokin IL-17 freisetzen und asthmaähnliche Symptome hervorrufen.

Umetsus Mäuse entwickelten Atemnot, nachdem sie ozonbelastete Luft eingeatmet hatten, wie sie etwa regional an manchen Sommertagen auftritt. Die erhöhten IL-17-Werte stammten jedoch nicht von Th2- oder Th17-Zellen. "Auch Mäuse, die gar keine T-Helferzellen besitzen, entwickeln unter Ozonbelastung Atemnot, weil sie zahlreiche NKT-Zellen enthalten", erklärt Umetsu. "Das widerspricht der herrschenden Lehrmeinung; offenbar sind Th2-Zellen nicht die einzigen Verursacher."

Um auch den Asthmatikern zu helfen, bei denen die gängigen Kortisonpräparate nicht anschlagen, gilt es herauszufinden, welche Zellen auf bestimmte Reize mit der Produktion von IL-17 reagieren. Und beim Testen neuer Arzneistoffe müssen die Patienten möglichst deutlich nach ihrem Krankheitstyp unterschieden werden. Ein auf eine bestimmte Asthmaform zugeschnittenes Medikament könnte bei einem anderen Krankheitstyp versagen.

Das Klassifizieren von Asthmapatienten hat sich das Deutsche Zentrum für Lungenforschung vorgenommen – ein Verbund, der Wissenschaftler an fünf Standorten vernetzt. In den USA hat das Severe Asthma Research Program (SARP) mittlerweile rund 1600 Patienten untersucht und drei Haupttypen von schwerem Asthma unterschieden. Die SARP-Forscher analysieren Schleim- und Blutproben, um die Immunreaktion zu bestimmen, die zu den jeweiligen Symptomtypen gehört.

Die jüngsten Erkenntnisse über die Mittäterschaft von IL-17- und NKT-Zellen werfen neue Fragen auf. "Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass es mehr T-Zell-Typen gibt, als wir dachten", meint der Immunologe Carsten Schmidt-Weber von der Technischen Universität München und dem dortigen Helmholtz-Zentrum. Doch die Asthmaforscher fühlen sich durch diese Herausforderung angespornt. Sie möchten alle möglichen Arten von Asthma besser verstehen – denn erst wenn sie die in jedem Fall beteiligten Zytokine identifiziert haben, können sie maßgeschneiderte Therapien entwickeln.