Mittwoch, 19. Juni 2013

Wie viel Täuschung durchzieht die Wissenschaft?


Heidelberg. Zu Guttenberg, Koch-Mehrin, Schavan – solche Plagiatsskandale schüren nicht nur Zweifel an der persönlichen Integrität, sondern auch an der Qualitätssicherung in der Forschung. Wie viel Täuschung durchzieht die Wissenschaft? Fragt sich eine desillusionierte Öffentlichkeit. Und was tun die Hochschulen dagegen? Der Vorsitzende des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, und der Rektor der Heidelberger Universität, Bernhard Eitel, standen für die aktuelle Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft Rede und Antwort.

Aus: Spektrum der Wissenschaft, Juli 2013

Beide Experten beklagen die "Copy-and-paste-Kultur" von Schulabgängern und deren mangelnde Vorstellung davon, was geistiges Eigentum bedeute. Gleichwohl unterstreicht Eitel, er wolle weder Doktoranden noch Wissenschaftler unter Generalverdacht stellen. Die Verfehlung gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis sei die Ausnahme. Aktuell werden an seiner Universität zehn Fälle verfolgt – ein stabiler Wert über Jahre.

Und dennoch: "Gravierendes Fehlverhalten kann nicht verjähren", formuliert Uni-Rektor Eitel, "das wäre für die Wissenschaft tödlich". Schließlich gelte ja auch die Aufnahme in den Kreis der Wissenschaftler durch die Promotion lebenslang. Das sieht der Hochschulverbandspräsident Kempen angesichts des Falls des früheren Bundesforschungsministerin Annette Schavan, deren Titel nach mehr als 30 Jahren entzogen wurde, anders. Da sogar Totschlag nach 30 Jahren verjähre, sieht er hier einen klaren "Wertungswiderspruch".

Zum Hintergrund: Fehlverhalten in der Forschung sorgte in denen letzten Jahren für Turbulenzen in der deutschen Wissenschaftswelt, kostete Ministerposten und Renommee. Das gesellschaftliche Ansehen der Wissenschaft hat massiv gelitten. "Jeder dieser Fälle ist für die titelverleihende Universität peinlich", so Kempen. Seiner Ansicht nach stehen die Hochschullehrer nun insgesamt in der Pflicht, mit konkreten Veränderungen dafür zu sorgen, dass die publizierten Arbeiten sauber sind. Darauf habe die Öffentlichkeit einen Anspruch.

Die Ursachen und zu ziehenden Konsequenzen aus den Plagiatsskandalen sind komplex. Es gilt dicke Bretter zu bohren, um hier nachhaltig Abhilfe zu schaffen, das räumen Bernhard Kempen und Bernhard Eitel im Spektrum-Interview ein. Auch, wenn sie gleichzeitig daran erinnern, dass es Lug und Trug seit Anbeginn der Wissenschaft immer gegeben habe. Im Gespräch mit Spektrum der Wissenschaft Chefredakteur Carsten Könneker machen sie sich für eine neue "Qualitätskultur" in der Forschung stark.

So hat sich beispielsweise die Heidelberger Alma Mater auf den Weg gemacht, schon früh im Studium Sensibilität für gute wissenschaftliche Praxis zu schaffen, beispielsweise wird campusweit allen Prüfungsberechtigten eine Plagiatssoftware zur Verfügung gestellt. Der Hochschulverband, so Kempen, wünscht sich überdies einheitliche Richtlinien in Form eines Standardwerks des wissenschaftlichen Publizierens, das jedem Studierenden zu Beginn in die Hand gedrückt werden soll. Gemeinsam mit dem Doktorandennetzwerk "Thesis" habe man Handlungsrichtlinien entwickelt, wie eine ordentliche Betreuung aussehen müsse. Durch die starke Zunahme in- und ausländischer Promovierenden und die schlechte finanzielle Ausstattung der Universitäten sei dies immer schwieriger zu bewerkstelligen.

In den Fokus fassen die beiden Gesprächspartner auch die Grauzone wissenschaftlichen Publizierens wie Autorenkollektive, Großprojekte, bei denen Experimente nicht reproduzierbar sind, und die Doktorarbeit in der Medizin. "Unser Dr. med.", beklagte Eitel, "wird international oft nicht als ein akademischer Grad akzeptiert, der echte Wissenschaftlichkeit auszeichnet".