Heidelberg. Wenn selbst einfache Rechenaufgaben Kinder vor unüberwindliche Hürden stellen, haben Experten dafür oft die passende Diagnose parat: "Dyskalkulie", auch Rechenschwäche genannt. Dieser Begriff lade die Schuld am Versagen jedoch zu Unrecht bei den Betroffen ab, kritisiert der Mathematikdidaktiker Wolfram Meyerhöfer von der Universität Paderborn. Jedes Kind könne rechnen lernen – mit der richtigen Methode, erklärt er im Interview mit dem Magazin "Gehirn und Geist" (Ausgabe 11/2013).
Lehrer müssten gewährleisen, dass der Stoff am Ende auch für alle Schüler gleichermaßen begreifbar ist, sagt der Mathedidaktiker. Stattdessen werde Kindern die Misere der Schule als eigenes Stigma attestiert. "Seit einigen Jahren mischt sich auch noch die Medizin ein und erfindet Krankheiten wie Rechenschwäche, Legasthenie oder ADHS, die ganz offen unterstellen, dass das Problem beim Kind liegt. Das hilft Lehrern, Schulbehörden und zum Teil auch den Eltern, sich ihrem eigenen Versagen nicht stellen zu müssen", so Meyerhöfer.
Um zu verhindern, dass "Rechenschwache" später zu mathematischen Analphabeten werden, müsse man vor allem Schule und Unterricht verändern, fordert Meyerhöfer. Das Lehramtsstudium sei hierfür ein guter Ansatzpunkt: "Die Lehrerausbildung ist falsch strukturiert. Bestimmte Ideen kann ich bei den Studierenden gar nicht verankern, weil sie noch gar nicht genug unterrichtet haben. Meiner Meinung nach sollten wir das Studium verkürzen und dafür die Lehrer nach fünf Berufsjahren noch einmal über ihr Tun reflektieren lassen."