Donnerstag, 16. Januar 2014

Inklusion in der Kita: Drei Fragen ab Annedore Prengel

„Das wertvolle Spezialwissen kommt zum Kind in seine inklusive wohnortnahe Kita“
 
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor fünf Jahren wurde in Deutschland ein Rechtsanspruch auf inklusive Bildung geschaffen. Seither geht es in erster Linie um die Frage, wie Inklusion in der Schule umgesetzt werden kann. Wie steht es aber um die Inklusion im Elementarbereich, in den Krippen und Kitas? Das wollten wir von Prof. Dr. Annedore Prengel wissen.

Frage: Gerade der Elementarbereich scheint prädestiniert, um alle Kinder aufnehmen zu können – ein idealer Ort also für Inklusion?

Annedore Prengel: Mit dem Begriff der Inklusion ist die Vorstellung verbunden, dass Kinder in heterogenen Gruppen miteinander leben und lernen. Kein Kind soll seinen Bildungsweg in einer Spezialeinrichtung, die für eine homogen gedachte Gruppe geschaffen wurde, in der die Kinder ein wie auch immer bestimmtes besonderes Merkmal aufweisen, absolvieren. Daraus folgt, dass alle Kinder eines Wohngebiets gemeinsam ihre wohnortnahe Kita und danach ihre wohnortnahe Schule besuchen.
Für Kinder ist Inklusion im Elementarbereich aus einer Reihe von Gründen ideal: Alle Kinder haben in der inklusiven Gruppe die Chance zu erfahren, dass es andere Kinder gibt, die anders fühlen, anders sprechen, anders denken, anders lernen und anders spielen und dass diese anderen Kinder gleiche Grundbedürfnisse nach Versorgung, Anerkennung und Aktivität sowie gleiche Rechte haben. Die Vermittlung von Selbstachtung und Anerkennung der anderen sind wichtige Bildungsziele der heterogenen Lerngruppe, die sich keineswegs automatisch verwirklichen lassen, nur weil verschiedene Kinder zusammen sind. Sie müssen vielmehr durch die Erwachsenen langfristig gelehrt werden. Ohne aufwendige Fahrtkosten und anstrengende Busreisen können alle Kinder ihre wohnortnahe Kita schnell erreichen. Der Kindergarten ist ein für alle wichtiges und unkompliziert erreichbares, vor allem aber gemeinsames kulturelles Zentrum im Dorf oder im Stadtteil.
 
Frage: „Separierende Einrichtungen für Kinder sind nicht notwendig“
Sind dennoch nicht auch spezielle Einrichtungen nötig?
 
Annedore Prengel: Die speziellen Pädagogiken für bestimmte „(Dis-)Abilities“ sind wichtig, weil sie Wissen und Erfahrungen des Zugangs zu besonderen Kommunikationsmöglichkeiten untersucht und kultiviert haben. Aber dafür sind nicht separierende Einrichtungen für Kinder notwendig, sondern das wertvolle Spezialwissen kommt zum Kind in seine inklusive wohnortnahe Kindertagesstätte oder seine inklusive wohnortnahe Schule. Und die Fachleute, z. B. für die Blindenschrift oder für computergestützte Kommunikationssysteme sind in der inklusiven Kita und Schule beratend tätig, um die dort arbeitenden multiprofessionellen Teams jeweils für die Bedürfnisse des Kindes zu qualifizieren.

Frage: „Inklusion ist gegenwärtig die zentrale Entwicklungsaufgabe unseres Bildungssystems“ Es wird – besonders im schulischen Bereich - immer wieder beklagt, Inklusion werde idealisiert. Wie sieht ein realistischer Blick aus?
 
Annedore Prengel : Alle pädagogischen Konzeptionen weisen Stärken, Schwächen, Widersprüche und Unzulänglichkeiten auf. Auch Inklusion wäre nicht seriös, wenn damit das Versprechen einer heilen Welt verbunden würde. Inklusion ist so gut, wie die jeweils in einer Kindertagesstätte oder Schule arbeitenden Pädagoginnen und Pädagogen qualifiziert sind, wie die Ressourcen-Ausstattung bemessen ist, wie die Strukturen es ermöglichen. Aber Inklusion ist gegenwärtig die zentrale Entwicklungsaufgabe unseres Bildungssystems, denn Ausgrenzung in separierende Institutionen verstößt gegen das Recht auf Teilhabe. Das heißt gar nicht, dass die Menschen in Sondereinrichtungen und Sonderschulen persönlich problematisch arbeiten (obwohl auch das vorkommt). Mit separierenden Bildungseinrichtungen gehen strukturell unweigerlich die Stigmatisierung der in Sondereinrichtungen ausgegrenzten Kinder und die Trennung der Kinder voneinander einher.

Es sind große gemeinsame Anstrengungen erforderlich, Inklusion gut zu realisieren. Wie das geht, haben integrative und inklusive Kitas und Schulen seit den Siebzigerjahren erfolgreich praktiziert. Wir wissen, dass inklusives gemeinsames Lernen im Elementar-, im Primar- und im Sekundarbereich möglich ist und wir wissen wie es geht. Wir wissen nur noch nicht, wie es zu erreichen ist, dass die Mittel bereit gestellt werden, um diese Pädagogik in der Fläche nachhaltig zu verbreiten, auch bei jenen Pädagoginnen und Pädagogen, die sich in all den Jahren noch nicht über die Arbeit mit heterogenen Gruppen kundig gemacht haben und immer noch am gleichschrittigen Lernen festhalten.
 
Zur Person
Prof. em. Dr. Annedore Prengel war in der Humanwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Potsdam für das Lehrgebiet „Anfangsunterricht unter besonderer Berücksichtigung Sozialen Lernens und der Integration Behinderter“ verantwortlich.
 
Dazu auf der didacta 2014 in Stuttgart:

Kita-Seminare

Vom 25. bis zum 28. März 2014 finden auf der didacta wieder die Kita-Seminare statt. Themenschwerpunkt am Freitag, 28.03.2014, ist Diversität. Eröffnet wird dieser Tag um 10:30 Uhr mit dem Auftaktvortrag von Prof. Dr. Annedore Prengel: Diversität – der Vielfalt der Kinder gerecht werden: Wie viel Verschiedenheit verträgt die Kita?

Daran schließen sich verschiedene Workshops zum Thema an.
Sonderschau Montessori-Pädagogik: Inklusion

Vom 25.-29.03.2014, Stand: Halle 5, Stand A71
Sonderschau Waldorfpädagogik: "Jedes Kind ein Könner"

Vom 25.-29.03.2014, Stand: Halle 4, Stand G49
Weitere Informationen finden Sie unter:

http://www.didacta-stuttgart.de/themendienst