„Auf allen Ebenen die richtige Lösung suchen“
Bildungsgerechtigkeit,
höhere Bildungsausgaben, Systemreformen: Forderungen zur Eröffnung der
didacta 2014 vor dem Hintergrund von Zuwanderung und Demografie
Stuttgart - Die didacta sei eine „Messe des lebenslangen Lernens“, sagte
Wilmar Diepgrond
, Vorsitzender des Verbandes Bildungsmedien e.V., zur Eröffnung von
Europas größter Bildungsmesse am Dienstag in Stuttgart. Über 900
Aussteller zeigten „das gesamte Spektrum der deutschen
Bildungswirtschaft“, was die didacta zu einer der weltweit bedeutendsten
Fort- und Weiterbildungsmessen mache, „zu einem Pflichttermin für
jeden, der im Bildungsbereich Verantwortung trägt“. Die Messe sei jedoch
mehr als nur eine „Leistungsschau“, sondern biete durch Vorträge,
Seminare und Foren auch die
wichtige Möglichkeit zum Gedankenaustausch, aus welchem „neue Ideen für
Konzepte und Impulse für die pädagogische Arbeit“ erwüchsen. „Bildung
ist unsere wichtigste Ressource“, mahnte Diepgrond. Deshalb müssten die
finanziellen und politischen Rahmenbedingungen gesichert werden.
„Gemessen an der Wirtschaftskraft Deutschlands entsprechen die
Bildungsausgaben aber leider immer noch nicht dem internationalen
Standard.“
Fritz Kuhn
, Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, stimmte zu: „Ohne Bildung
kommen wir nicht weiter – nicht gesellschaftlich, nicht individuell,
nicht wirtschaftlich.“ Deshalb gebe Stuttgart „sehr viel Geld für die
Bildung aus, allein 450 Millionen für die Schulsanierung bis 2020.“ Auch
das kulturelle Angebot der Stadt leiste einen wichtigen Beitrag zur
Bildung im klassischen Sinne. Grundsätzlich aber dürfe man nicht
vergessen, dass „Bildung nur dann funktioniert, wenn wir es schaffen,
gesellschaftlich
und im Elternhaus Neugier zu wecken und diese auf verschiedene Art und
Weise zu fördern. Das A und O von Bildungsfähigkeit ist der frühe Erwerb
sprachlicher Fähigkeiten. Rund 40 Prozent der in Stuttgart lebenden
Menschen haben einen Migrationshintergrund. Wer des Deutschen nicht
frühzeitig mächtig ist, versteht auch den Sinn einer mathematischen
Textaufgabe nicht. Daher ist es wichtig, dass Menschen, die hierher
kommen, schnell und richtig Deutsch lernen.“ Die Politik könne zwar die
Rahmenbedingungen schaffen, nicht zuletzt sei Bildung jedoch auch eine
individuelle Anstrengung. „Es ist wie im Sport: Sie können Hilfsmittel
kreieren ohne Ende, aber irgendwann müssen Sie mal trainieren.“
Auf die Veränderung der Bildungsprozesse ging anschließend Prof. Dr. mult. Wassilios E. Fthenakis
, Präsident des didacta Verbandes e.V., ein. Auch hier bestehe in
Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ein Nachholbedarf: „Kinder
wachsen heute in einer medialen Welt auf. Ein Bildungssystem, das dem
gegenüber abstinent bleibt, versäumt seine Verantwortung.“ Daher müsse
man die Kinder „von Anfang an so bilden, dass sie medienkompetent sind.
Neue Medien eröffnen völlig neue Lernmethoden, und diese sollten wir
nutzen!“ Ein weiteres großes Problem sehe er im föderalen
Bildungssystem, sagte
Fthenakis. „Wir haben sechzehn Länder mit sechzehn Bildungssystemen.
Wer eine hohe Bildungsqualität will, muss über die Organisation des
Bildungssystems nachdenken. Viele scheitern an den Übergängen.“ So sei
es etwa wenig praxisnah, wenn der Kindergarten eine „andere Philosophie
als die Grundschule“ verfolge. Dem didacta-Präsidenten zufolge krankt
das deutsche Bildungssystem obendrein an der „unangemessenen
Finanzierung der jeweiligen Bildungsstufen“, vor allem in Kindergarten
und Grundschule.
Bei den unter Dreijährigen – das „Wichtigste, was wir haben“ –
erreichten die Ausgaben nur ein Drittel der OSZE-Empfehlung. „Das kann
so nicht bleiben!“ Fthenakis sprach sich insgesamt für eine
länderübergreifende Zusammenarbeit aus: „Wir brauchen
Bildungsqualitätsgesetze, eine nationale Evaluationsagentur und einen
gemeinsamen Bildungsplan.“
Stefan Müller
, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und
Forschung, verwies indes auf jüngste Erfolge. „In den letzten Jahren ist
sehr viel passiert. Der Bildungserfolg ist nicht mehr so stark vom
sozialen Hintergrund abhängig, die Leistungsunterschiede bei Schülern
mit und ohne Migrationshintergrund sind kleiner geworden.“ Dies solle
als Ansporn dienen, „noch besser zu werden und die Entwicklung des
Bildungssystems laufend empirisch zu überprüfen“. In der
Bildungsforschung
übernehme der Bund ausdrücklich Verantwortung. Trotz allem sei der
Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Bildungschancen in
Deutschland aber noch zu groß, räumte Müller ein. „Angesichts des
demografischen Wandels können wir es uns nicht leisten, dass junge
Menschen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Bildungsarmut ist
teuer, deshalb ist Bildungspolitik eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe.“ Angesichts des viel diskutierten Fachkräftemangels sei es
dringend notwendig, Frauen,
ältere Arbeitnehmer und Migranten stärker in den Fokus zu nehmen, um
sämtliche „Potenziale zu mobilisieren“. Dazu gehöre auch,
Ausbildungsabschlüsse aus dem Ausland anzuerkennen. „Wir sind auf einem
guten Weg, haben aber bei etlichen Themen noch Hausaufgaben zu
erledigen“, sagte Müller.
Den offiziellen „Startschuss“ zur didacta 2014 gab zum Ende der Eröffnungsfeier der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch
. „Für den Bildungserfolg ist es wichtig und zentral, immer auf dem
neuesten Stand zu sein“, sagte er und lobte in diesem Zusammenhang das
„umfassende und vielfältige Angebot“ der didacta. Es sei eine
Binsenweisheit, dass man Bildungssysteme weiterentwickeln müsse. „Die
Gesellschaft verändert sich mit hoher Dynamik, das gilt auch für das
Bildungssystem.“ Im Kontext des demografischen Wandels, zunehmender
Individualisierung und Zuwanderung sei die Frage nach sozialer
Gerechtigkeit entscheidend.
Es gelte, „den Bedürfnissen und Begabungen möglichst vieler gerecht zu
werden“. Wichtig sei es, „aus den Erkenntnissen der Bildungsforschung
die richtigen Schlüsse zu ziehen“ und entsprechende Maßnahmen
einzuleiten. Zu diesen gehöre der Ausbau von Ganztagsschulen. „Wir
müssen die Schule als Lernort stärken“, sagte Stoch. Dies sei die
Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen, erwarte die Wirtschaft
doch die „zeitliche Verfügbarkeit von jungen Männern und Frauen“
gleichermaßen. Bei „hoher
pädagogischer Qualität“ müsse die Ganztagsschule „adäquate
Förderungsmöglichkeiten“ für den einzelnen Schüler bieten. „Hochschulen,
Schulen und frühkindlicher Bereich bilden einen Dreiklang“, erklärte
Stoch. „Wir müssen auf allen Ebenen die richtige Lösung suchen. Der
Erfolg unserer Bundesrepublik Deutschland wird davon abhängen, wie gut
wir junge Menschen auf das Leben in dieser Gesellschaft vorbereiten
können.“
Weitere Informationen zur didacta gibt es unter:
http://www.didacta-stuttgart.de