Dienstag, 25. März 2014

Forderungen zur Eröffnung der didacta 2014

„Auf allen Ebenen die richtige Lösung suchen“
 
Bildungsgerechtigkeit, höhere Bildungsausgaben, Systemreformen: Forderungen zur Eröffnung der didacta 2014 vor dem Hintergrund von Zuwanderung und Demografie
 
Stuttgart - Die didacta sei eine „Messe des lebenslangen Lernens“, sagte Wilmar Diepgrond , Vorsitzender des Verbandes Bildungsmedien e.V., zur Eröffnung von Europas größter Bildungsmesse am Dienstag in Stuttgart. Über 900 Aussteller zeigten „das gesamte Spektrum der deutschen Bildungswirtschaft“, was die didacta zu einer der weltweit bedeutendsten Fort- und Weiterbildungsmessen mache, „zu einem Pflichttermin für jeden, der im Bildungsbereich Verantwortung trägt“. Die Messe sei jedoch mehr als nur eine „Leistungsschau“, sondern biete durch Vorträge, Seminare und Foren auch die wichtige Möglichkeit zum Gedankenaustausch, aus welchem „neue Ideen für Konzepte und Impulse für die pädagogische Arbeit“ erwüchsen. „Bildung ist unsere wichtigste Ressource“, mahnte Diepgrond. Deshalb müssten die finanziellen und politischen Rahmenbedingungen gesichert werden. „Gemessen an der Wirtschaftskraft Deutschlands entsprechen die Bildungsausgaben aber leider immer noch nicht dem internationalen Standard.“
 
Fritz Kuhn , Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, stimmte zu: „Ohne Bildung kommen wir nicht weiter – nicht gesellschaftlich, nicht individuell, nicht wirtschaftlich.“ Deshalb gebe Stuttgart „sehr viel Geld für die Bildung aus, allein 450 Millionen für die Schulsanierung bis 2020.“ Auch das kulturelle Angebot der Stadt leiste einen wichtigen Beitrag zur Bildung im klassischen Sinne. Grundsätzlich aber dürfe man nicht vergessen, dass „Bildung nur dann funktioniert, wenn wir es schaffen, gesellschaftlich und im Elternhaus Neugier zu wecken und diese auf verschiedene Art und Weise zu fördern. Das A und O von Bildungsfähigkeit ist der frühe Erwerb sprachlicher Fähigkeiten. Rund 40 Prozent der in Stuttgart lebenden Menschen haben einen Migrationshintergrund. Wer des Deutschen nicht frühzeitig mächtig ist, versteht auch den Sinn einer mathematischen Textaufgabe nicht. Daher ist es wichtig, dass Menschen, die hierher kommen, schnell und richtig Deutsch lernen.“ Die Politik könne zwar die Rahmenbedingungen schaffen, nicht zuletzt sei Bildung jedoch auch eine individuelle Anstrengung. „Es ist wie im Sport: Sie können Hilfsmittel kreieren ohne Ende, aber irgendwann müssen Sie mal trainieren.“
 
Auf die Veränderung der Bildungsprozesse ging anschließend Prof. Dr. mult. Wassilios E. Fthenakis , Präsident des didacta Verbandes e.V., ein. Auch hier bestehe in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ein Nachholbedarf: „Kinder wachsen heute in einer medialen Welt auf. Ein Bildungssystem, das dem gegenüber abstinent bleibt, versäumt seine Verantwortung.“ Daher müsse man die Kinder „von Anfang an so bilden, dass sie medienkompetent sind. Neue Medien eröffnen völlig neue Lernmethoden, und diese sollten wir nutzen!“ Ein weiteres großes Problem sehe er im föderalen Bildungssystem, sagte Fthenakis. „Wir haben sechzehn Länder mit sechzehn Bildungssystemen. Wer eine hohe Bildungsqualität will, muss über die Organisation des Bildungssystems nachdenken. Viele scheitern an den Übergängen.“ So sei es etwa wenig praxisnah, wenn der Kindergarten eine „andere Philosophie als die Grundschule“ verfolge. Dem didacta-Präsidenten zufolge krankt das deutsche Bildungssystem obendrein an der „unangemessenen Finanzierung der jeweiligen Bildungsstufen“, vor allem in Kindergarten und Grundschule. Bei den unter Dreijährigen – das „Wichtigste, was wir haben“ – erreichten die Ausgaben nur ein Drittel der OSZE-Empfehlung. „Das kann so nicht bleiben!“ Fthenakis sprach sich insgesamt für eine länderübergreifende Zusammenarbeit aus: „Wir brauchen Bildungsqualitätsgesetze, eine nationale Evaluationsagentur und einen gemeinsamen Bildungsplan.“
 
Stefan Müller , Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, verwies indes auf jüngste Erfolge. „In den letzten Jahren ist sehr viel passiert. Der Bildungserfolg ist nicht mehr so stark vom sozialen Hintergrund abhängig, die Leistungsunterschiede bei Schülern mit und ohne Migrationshintergrund sind kleiner geworden.“ Dies solle als Ansporn dienen, „noch besser zu werden und die Entwicklung des Bildungssystems laufend empirisch zu überprüfen“. In der Bildungsforschung übernehme der Bund ausdrücklich Verantwortung. Trotz allem sei der Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Bildungschancen in Deutschland aber noch zu groß, räumte Müller ein. „Angesichts des demografischen Wandels können wir es uns nicht leisten, dass junge Menschen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Bildungsarmut ist teuer, deshalb ist Bildungspolitik eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Angesichts des viel diskutierten Fachkräftemangels sei es dringend notwendig, Frauen, ältere Arbeitnehmer und Migranten stärker in den Fokus zu nehmen, um sämtliche „Potenziale zu mobilisieren“. Dazu gehöre auch, Ausbildungsabschlüsse aus dem Ausland anzuerkennen. „Wir sind auf einem guten Weg, haben aber bei etlichen Themen noch Hausaufgaben zu erledigen“, sagte Müller.
 
Den offiziellen „Startschuss“ zur didacta 2014 gab zum Ende der Eröffnungsfeier der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch . „Für den Bildungserfolg ist es wichtig und zentral, immer auf dem neuesten Stand zu sein“, sagte er und lobte in diesem Zusammenhang das „umfassende und vielfältige Angebot“ der didacta. Es sei eine Binsenweisheit, dass man Bildungssysteme weiterentwickeln müsse. „Die Gesellschaft verändert sich mit hoher Dynamik, das gilt auch für das Bildungssystem.“ Im Kontext des demografischen Wandels, zunehmender Individualisierung und Zuwanderung sei die Frage nach sozialer Gerechtigkeit entscheidend. Es gelte, „den Bedürfnissen und Begabungen möglichst vieler gerecht zu werden“. Wichtig sei es, „aus den Erkenntnissen der Bildungsforschung die richtigen Schlüsse zu ziehen“ und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Zu diesen gehöre der Ausbau von Ganztagsschulen. „Wir müssen die Schule als Lernort stärken“, sagte Stoch. Dies sei die Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen, erwarte die Wirtschaft doch die „zeitliche Verfügbarkeit von jungen Männern und Frauen“ gleichermaßen. Bei „hoher pädagogischer Qualität“ müsse die Ganztagsschule „adäquate Förderungsmöglichkeiten“ für den einzelnen Schüler bieten. „Hochschulen, Schulen und frühkindlicher Bereich bilden einen Dreiklang“, erklärte Stoch. „Wir müssen auf allen Ebenen die richtige Lösung suchen. Der Erfolg unserer Bundesrepublik Deutschland wird davon abhängen, wie gut wir junge Menschen auf das Leben in dieser Gesellschaft vorbereiten können.“

Weitere Informationen zur didacta gibt es unter:

http://www.didacta-stuttgart.de