Mittwoch, 21. Juli 2010

Kosmologie: Dem Dunklen Universum auf der Spur

Größtenteils harmlos – so charakterisiert ein Reiseführer in "Per Anhalter durch die Galaxis" unseren Planeten. Ist die Erde vielleicht noch bedeutungsloser, als es der Autor dieses Kultromans formulierte? Offenbar besteht der weitaus größte Teil der Materie im Universum aus einem gänzlich anderen Stoff als wir – aus "Dunkler Materie", die für alle Arten von Messgeräten unsichtbar ist.

Aus: Sterne und Weltraum, August 2010

Wenn sich diese mysteriöse Substanz nicht beobachten lässt, woraus schließen die Astronomen dann überhaupt auf ihre Existenz? Wie die Kosmologen Matthias Bartelmann und Matthias Steinmetz in der August-Ausgabe der Zeitschrift "Sterne und Weltraum" erläutern, gibt es für das Vorhandensein dieser rätselhaften Materieform mehrere Indizien.

Eines dieser Indizien beruht auf der Messung der Geschwindigkeiten von Sternen, die das Zentrum ihrer Galaxie umrunden. Normalerweise müsste ihre Geschwindigkeit sinken, je weiter sie vom Zentrum entfernt sind – ähnlich wie bei Planeten, die sich um ihren Zentralstern bewegen. Aber das ist nicht der Fall: Selbst Sterne in großer Entfernung zum Galaxienkern bewegen sich viel schneller als erwartet. Das deutet darauf hin, dass es in der Umgebung von Galaxien noch eine große Menge unsichtbarer Materie geben muss.

Solche Schlussfolgerungen beruhen auf der gegenwärtig besten Theorie der Gravitation, nämlich Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Sie ist die am genauesten überprüfte Theorie überhaupt, aber praktische Tests fanden natürlich nur innerhalb unseres Sonnensystems statt. Lassen sich die Abweichungen zwischen Beobachtung und Theorie vielleicht dadurch erklären, dass die allgemeine Relativitätstheorie für größere räumliche Ausdehnungen verändert werden muss?

In der Tat wurden schon einige Modifikationen der Theorie vorgeschlagen. Aber: Auch diese Erweiterungen von Einsteins Theorie kommen nicht ohne Dunkle Materie aus.

Könnte Dunkle Materie nicht einfach aus Planeten, Asteroiden und anderer nichtleuchtender Materie bestehen? Dieser naheliegenden Vermutung erteilen die Astronomen eine Absage: Ein Beleg dafür steckt in der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, der verbliebenen Strahlung aus der Frühzeit des Universums, die uns aus allen Richtungen des Kosmos erreicht. Diese Strahlung enthält winzige Intensitätssschwankungen, die wiederum kleine Dichteschwankungen im frühen Universum anzeigen. Damit sich Galaxien und Galaxienhaufen bilden konnten, hätten die Dichteschwankungen aber schon damals viel größer sein müssen – zumindest wenn nur normale Materie im Spiel war. Wenn aber auch eine andere Art von Materie beteiligt war, die nur durch ihre Gravitationswirkung in Erscheinung tritt, mit Strahlung aber nur sehr schwach reagiert, würde das erklären, warum sich deren Dichteschwankungen nicht in der Hintergrundstrahlung wiederfinden. Solche schwach wechselwirkenden Teilchen könnten zum Beispiel Neutrinos sein. Diese sind aber zu schnell und zu leicht, als dass Galaxien sie halten könnten. Dunkle Materie muss also zu einem großen Teil aus massereichen Teilchen bestehen, die nur schwach mit ihrer Umgebung in Wechselwirkung treten – und solche Teilchen kennen wir bislang noch nicht.

Auch über die Verteilung der Dunklen Materie im Universum ist bisher noch wenig bekannt. Um Dunkler Materie auf die Spur zu kommen, sind Gravitationslinsen vielversprechend: Große Materieansammlungen, beispielsweise Galaxienhaufen, lenken das Licht ab, das von dahinter liegenden Objekten kommt. Allerdings liefern solche Gravitationslinsen niemals ein perfektes Bild - zum Glück, sonst würden wir gar nicht merken, dass sie existieren. Das Abbild der Objekte hinter der Gravitationslinse ist stets verzerrt. Mit Hilfe dieser Verzerrung können Astronomen berechnen, wie die Masse in der Gravitationslinse selbst verteilt sein muss. Dabei stellte sich heraus, dass die Verteilung der Dunklen Materie teilweise völlig unerwartet ist. Sie ballt sich an ganz anderen Stellen zusammen als die normale Materie. Gibt es vielleicht eine unbekannte Kraft zwischen Dunkle-Materie-Teilchen? Die Erforschung dieser rätselhaften Substanz bleibt also spannend.

Über "Sterne und Weltraum"
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