Montag, 15. November 2010

Wahlverhalten: Wählen geht durch den Bauch

Bei der Stimmabgabe lassen wir uns von allerlei Äußerlichkeiten beeinflussen – etwa vom Aussehen der Kandidaten oder vom Standort der Wahlkabine.

Aus: Gehirn&Geist, Dezember 2010

Entscheiden wir bei politischen Wahlen weit weniger rational als wir meinen? Dafür sprechen zahlreiche psychologische Studien der letzten Jahre, wie die aktuelle Ausgabe des Magazins Gehirn&Geist (12/2010) berichtet.

Politikwissenschaftler um Kyle Mattes von der University of Iowa (USA) untersuchten 2010, wie das Aussehen von Politikern ihre Erfolgschancen beeinflusst. Probanden sollten beurteilen, welcher von jeweils zwei konkurrierenden Kandidaten kompetenter, attraktiver oder bedrohlicher aussah. Fazit: Wer bedrohlich wirkte, verlor in 65 Prozent der Fälle das Rennen um einen Sitz im US-Senat. Allen Erwartungen zum Trotz minderte auch Attraktivität die realen Wahlchancen – vor allem, wenn der Betreffende zugleich fachlich weniger kompetent erschien als sein Widerpart.

Selbst Grundschüler können anhand von Porträtfotos gut vorhersagen, welcher von zwei politischen Kontrahenten mehr Wahlstimmen bekommt, so John Antonakis und Olaf Dalgas von der Universität Luzern (Schweiz). Die beiden Psychologen baten rund 680 Kinder, sich für ein Computerspiel einen "Schiffskapitän" auszusuchen. Aus Porträtfotos von Kandidaten der französischen Parlamentswahlen von 2002 wählten die Kleinen daraufhin besonders häufig den jeweiligen Wahlsieger aus. "Wähler beurteilen Kandidaten offenbar anhand derselben Äußerlichkeiten wie Kinder", schlussfolgern die Forscher.

Verblüffenderweise spielt bei der Stimmabgabe auch das Wahllokal eine Rolle. Psychologen der California State University in Northridge hatten Probanden gebeten, die Höhe der Entschädigungszahlung in einer Reihe fiktiver Versicherungsfälle festzusetzen. Die gewählten Summen etwa beim Versagen einer Anti-Baby-Pille fielen im Schnitt niedriger aus, wenn sich die Probanden in einem Kirchenhaus befanden und nicht an der Universität. Das galt aber nicht für Entschädigungen bei Arbeitsunfällen.

"Wahllokale in kirchlicher Umgebung bieten für konservative Politiker und Parteien Vorteile", so Rutchick. Der Psychologe glaubt, dass viele Bürger noch unentschlossen an die Wahlurnen treten und sich dann von der jeweiligen Umgebung beeinflussen lassen.

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