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Dienstag, 26. April 2011
EU-Osterweiterung: Ostbayern als Gewinner
Europa grenzüberschreitend entwickeln: Das haben sich Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Helmes von der IHK-Regensburg, die Bayerische Europaministerin Emilia Müller und der Vorsitzende der Bezirkswirtschaftskammer Pilsen Zdeněk Mužik auf die Fahnen geschrieben. Mit der Initiative „Wir sind Europa“ wollen die beiden Wirtschaftskammern die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Nachbarregionen Oberpfalz und Böhmen vertiefen. Ostbayern hat bereits in den vergangenen Jahren stark von der EU-Osterweiterung profitiert. Foto: ce-press
Die EU-Osterweiterung war für die bayerischen Grenzregionen das größte Konjunkturprogramm der jüngeren Geschichte. Alle negativen Befürchtungen sind nicht eingetreten.
Regensburg (ce-press - internet-zeitung) – Viele Schreckgespenste gingen vor dem EU-Beitritt Tschechiens 2005 in Ostbayern um: Kritiker fürchteten einen unkontrollierten Zustrom günstiger Arbeitskräfte auf den heimischen Markt, Lohndumping in vielen Branchen und die Abwanderung bayerischer Unternehmen in Richtung Osten. Keine dieser negativen Konsequenzen ist eingetreten. Im Gegenteil: Die Osterweiterung war für die Region zwischen Regensburg, Weiden und Tirschenreuth das größte Konjunkturprogramm in der jüngeren Geschichte. Das belegt auch eine Studie des Osteuropa-Instituts an der Universität Regensburg im Auftrag der Industrie- und Handelskammer. Der Fall des Eisernen Vorhangs vor über 20 Jahren und die EU-Erweiterung vor sechs Jahren hat Ostbayern in die Mitte Europas gerückt, und das ehemalige „Zonenrandgebiet“ zum dynamischen Senkrechtstarter im Wettbewerb der europäischen Regionen gemacht.
Die Osterweiterung der Europäischen Union am 1. April 2005 betrachteten nicht wenige in Ostbayern mit großer Skepsis. Einer der Hauptgründe: Tschechien hatte sich in den neunziger Jahren als „verlängerte Werkbank“ mit im Vergleich zu Deutschland bis zu zehnmal niedrigeren Lohnkosten einen Namen gemacht. Deshalb fürchteten viele, dass bayerische Unternehmen in einer gemeinsamen EU dem erhöhten Wettbewerbsdruck nicht standhalten können oder nach Tschechien abwandern würden. Steigende Arbeitslosigkeit und ein sinkendes Lohnniveau auf bayerischer Seite wären die Folgen gewesen.
Die Studie des Osteuropa-Instituts, bei der der Raum Oberpfalz/Kelheim und Westböhmen beispielhaft untersucht wurde, widerlegt dies klar: „In der Oberpfalz stieg die Zahl der Erwerbstätigen seit 1991 um 8,8 Prozent und damit genauso stark wie im bayerischen Durchschnitt“, sagen die beiden Osteuropa-Experten und Studienleiter Professor Dr. Jürgen Jerger und Dr. Michael Knogler. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Öffnung der EU nach Osten sei in der Grenzregion auch der lange Zeit vorherrschende negative Abstand zur gesamtbayerischen Arbeitslosenquote verschwunden. Im Herbst 2010 fiel die Erwerbslosenquote in der Oberpfalz mit 3,8 Prozent auf einen historischen Tiefsstand seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. „Trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich die positive wirtschaftliche Entwicklung in der Grenzregion weiter fortgesetzt“, sagt Dr. Michael Knogler.
Befürchtungen, dass die grenznahen Gebiete der Oberpfalz verstärkt von günstigen tschechischen Grenzpendlern überschwemmt werden, haben sich ebenfalls nicht bestätigt. Die Zahl der tschechischen Grenzpendler in die Arbeitsamtsdirektionen Schwandorf und Weiden liegt seit Jahren nahezu konstant bei rund 1.500. Auch wenn am 1. Mai dieses Jahres die letzten Arbeitsmarktbeschränkungen für Tschechien in Deutschland fallen, rechnen die Regensburger Wissenschaftler nicht mit stark ansteigenden Pendlerströmen in der Grenzregion: „Wir werden von der Freizügigkeit eher profitieren, weil sich so der Fachkräftemangel leichter beheben lässt“, sagt Dr. Michael Knogler. Eventuelle Probleme mit Lohndumping durch tschechische Leiharbeiter seien über Mindestlöhne in den Griff zu bekommen.
Auch die Angst, der EU-Beitritt könnte in Ostbayern die Löhne drücken, hat sich nicht bewahrheitet. „In der Oberpfalz haben sich die verfügbaren Einkommen seit 1991 deutlich besser entwickelt als in Bayern insgesamt“, sagt Professor Dr. Jerger. Die Einkommen stiegen in der Oberpfalz zwischen 1991 und 2006 von rund 11.800 auf 17.400 Euro. Auf tschechischer Seite verlief die Entwicklung ähnlich positiv: In Südwest-Böhmen hat sich der Einkommensabstand zu Ostbayern seit Mitte der neunziger Jahre in etwa halbiert. „In Zukunft wird sich das Einkommensniveau auf beiden Seiten der Grenze weiter angleichen“, sagt Dr. Michael Knogler. Auch das verhindere ein Anschwellen der Pendlerströme mit dem Fall der Arbeitsmarktbeschränkungen.
Den Rückenwind des grenzenlosen Europas und ihre Lage an der Schnittstelle des „alten“ und des „neuen“ Europas wollen die Wirtschaftsorganisationen diesseits und jenseits der bayerisch-böhmischen Grenze nun auf ihrem Weg in die Zukunft als „Konjunkturmotor“ Nummer 1 nutzen. Die für die Oberpfalz zuständige Industrie- und Handelskammer Regensburg hat mit ihren böhmischen Partnern unter der Überschrift „Wir sind Europa!“ eine enge Kooperation geschlossen. Das Ziel: die Zusammenarbeit weiter zu vertiefen und die Summe vielfältiger grenzübergreifender Initiativen und Netzwerke zu einen europäischen Lebens- und Wirtschaftsraum zu entwickeln. Auch die Studie der Universität Regensburg kommt zu dem klaren Schluss: „Chancen lassen sich nur gemeinsam mit den Nachbarregionen nutzen. In der Konkurrenz um Märkte und Entwicklungspotenziale werden erfolgreiche regionale Kooperationen mehr und mehr zum Standortfaktor.“