Ostbayern und Westböhmen wollen eine Modellregion für die Kooperation an der ehemaligen EU-Außengrenze im Osten werden – jetzt feiert die politische Partnerschaft ihren 10. Geburtstag.
Regensburg/Pilsen (ce-press - internet-zeitung) – Grenzüberschreitende Zusammenarbeit an der deutsch-tschechischen und deutsch-polnischen Grenze ist heute eine Selbstverständlichkeit. Doch oft, wissen Experten, beschränkt sich diese auf das Notwendigste: die Verteilung der EU-Fördergelder, die Öffnung von Grenzübergängen, Höflichkeitsbesuche, um Einigkeit und Zusammenarbeit zu demonstrieren, die in Wirklichkeit nur auf dem Papier steht. Treffen, bei denen am Ende meist nur dürre Beschlüsse und ein hübsch arrangiertes Abschlussfoto für die Medien stehen, gibt es in Ostbayern und Westböhmen schon lange nicht mehr. Denn die beiden Regionen haben ein großes Ziel vor Augen: Sie wollen eine Modellregion der Kooperation an der ehemaligen EU-Außengrenze im Osten werden.
Viele Kooperationen sind – als Ergebnis behördlicher Zusammenarbeit und privater Initiativen – heute bereits Wirklichkeit: Im Gewässerschutz arbeiten die Ämter auf beiden Seiten der Grenze zusammen, um wie beim Projekt des neuen Drachensees bei Furth im Wald gemeinsam und grenzüberschreitend für sauberes Grund- und Trinkwasser zu sorgen. Ebenfalls bereits Wirklichkeit: ein grenzüberschreitender Fernradweg, der München und Prag über Ostbayern und Westböhmen verbindet sowie eine intensive Kooperation der Akademie Regensburg, einer Privatschule für Gestaltung, mit tschechischen Kreativen an der Westböhmischen Universität. Grenzüberschreitend geplant werden sollen auch viele Projekte, die Pilsen auf dem Weg zur „Europäischen Kulturhauptstadt 2015“ umsetzten will.
In diesem Jahr feiert die Regionalkooperation Oberpfalz-Niederbayern-Westböhmen ihren 10. Geburtstag. Eine große Feier ist nicht geplant – stattdessen schmieden die Verantwortlichen bereits heute grenzüberschreitende Pläne für das nächste Jahrzehnt. Im Juli startet ein neues EU-Projekt „Pilsen-Oberpfalz: Europäische Nachbarn“, das die beiden Regionen noch enger zusammenführen soll.
Vier Jahrzehnte lang trennte der Eiserne Vorhang die bayerischen und tschechischen Grenzgebiete. Seit dem Fall des Kommunismus sind Bayern und Tschechien nun dabei, ihre jahrhunderte lange gemeinsame Geschichte des Austauschs, des Handels und der Kooperation wiederzubeleben. So entstand vor zehn Jahren die Regionalkooperation zwischen den drei Regierungsbezirken Oberpfalz, Niederbayern und Pilsen auf der tschechischen Seite. Jedes Jahr treffen sich Delegationen mit den Regierungspräsidenten an der Spitze, um die Kooperation voranzutreiben. Von einer „ausgezeichneten Zusammenarbeit“ sprachen die Oberpfälzer Präsidentin Brigitta Brunner, ihre Pilsner Amtskollegin Milada Emmerová und Niederbayerns Vize-Regierungspräsidentin Monika Weinl beim letzten großen Treffen. Sie sind sich einig: „Gemeinsame Projekte, die die Vertiefung von grenzüberschreitender Zusammenarbeit in die Wege leiten, müssen unterstützt werden.“
Im Rahmen der Regionalkooperation stimmen sich zehn hochrangig besetzte Arbeitsgruppen regelmäßig zu den Themenfeldern Kultur, Landwirtschaft, Tourismus, Umwelt, Verkehr, Wirtschaft, berufliche Bildung und Schulen, Gesundheitswesen und Regionalentwicklung ab. Daraus entstehen ganz konkrete Forderungen, die sich an die Regierungen beider Länder richten. Eines der großen Themen ist die Infrastruktur: Nach der Fertigstellung der Ostbayern-Tschechien-Magistrale, der durchgängigen Autobahn 6 von Nürnberg nach Prag, steht nun eine bessere Bahnanbindung im Fokus.
Auch das Jubiläumsjahr 2011 soll ganz im Zeichen des europäischen Geistes stehen: Bei der zehnten Regionalkonferenz im Mai sollen Initiativen zur „Bildung als Brücke“ in einen grenzüberschreitenden Lebens- und Wirtschaftsraum Ostbayern-Westböhmen diskutiert werden. Gemeinsam heben die langjährigen Partner in diesem Jahr mit „Pilsen-Oberpfalz: Europäische Nachbarn“ ein neues, langfristig angelegtes EU-Projekt aus der Taufe. Die Vision der Projektpartner: Möglichst viele Herausforderungen werden gemeinsam in Angriff genommen – vom grenzüberschreitenden Einsatz des Rettungswagens bis hin zum grenzenlosen Naturschutz und zur Abstimmung von Investitionsvorhaben.
Aber nicht nur die Politik, auch die Wirtschaft in Ostbayern blickt seit vielen Jahren über die Grenze: Mehr als 1.000 ostbayerische Unternehmen sind bereits in Tschechien präsent – jeden Monat werden es mehr. Die Industrie- und Handelskammer in Regensburg will mit ihrem Modellprojekt „Wir sind Europa!“ die praktische Vernetzung zwischen den Betrieben auf beiden Seiten der Grenze stärken – für einen starken Standort im Herzen Europas.