Donnerstag, 16. Juni 2011

Deutsch-tschechische Kommunikationstrainings: Wenn ein „Ja“ eigentlich „Nein“ heißt

Wirtschafts-Kooperation Deutschland-Tschechien: Warum ein Abend an der Bar in Tschechien oft mehr bringt als ein tagelanger Verhandlungsmarathon


Regensburg/Pilsen (ce-press - internet-zeitung) – „Wenn ein Tscheche ‚Ja’ sagt, kann das auch ‚Nein’ heißen“, sagt Dr. Sylvia Schroll-Machl. Die Psychologin beschäftigt sich seit Jahren mit Kommunikationsstilen und gilt als führende Expertin auf diesem Gebiet. Das unterschiedliche Kommunikationsverhalten von Deutschen und Tschechen ist oft der größte Prüfstein bei den grenzüberschreitenden Wirtschaftskontakten. Während Deutsche offene Kritik und Ablehnung gewohnt sind, gilt dies in Tschechien als verpönt. „Ich sage nicht Nein, ich mache Nein“, hat es eine böhmische Führungskraft in einem von Schroll-Machls Seminaren einmal auf den Punkt gebracht.
„Bei meinen Seminaren gibt es immer wieder einen großen Aha-Effekt“, sagt Schroll-Machl, deren Buch „Perfekt geplant – genial improvisiert“ – eine Anspielung auf die verschiedenen Kommunikationsstile – gilt inzwischen als Standardwerk der deutsch-tschechischen Businessverständigung. Die Teilnehmer quer aus allen Wirtschaftsbereichen, aus ganz Deutschland und Tschechien lernen bei der Expertin als erstes, dass ein tschechisches Ja nicht wie ein deutsches Ja ist. „Tschechen lehnen einen Vorschlag nicht ab – man sagt Ja und sieht dann, was man machen kann.“

Dahinter steckt laut der ostbayerischen Wissenschaftlerin die tiefe tschechische Überzeugung der so genannten Konfliktvermeidung: Tschechen weichen einer Thematisierung des Problems so lange aus, wie es geht. Der Konflikt wird oft glatt gebügelt. Die offene deutsche Auseinandersetzung empfinden Tschechen oft als Verletzung, sagt die Kommunikationstrainerin.

Deutsche Investitionen in Tschechien sind weiter auf dem Vormarsch, besonders die Betriebe in Ostbayern unternehmen viel, um mit den westböhmischen Nachbarn eine dauerhafte Wirtschafts-Allianz einzugehen. Umso wichtiger und gefragter sind deshalb die Trainings in Kommunikation: „Wie in einer Beziehung muss man miteinander reden“, sagt auch Richard Brunner, der bei der IHK Regensburg das grenzüberschreitende bayerisch-tschechische Projekt „Wir sind Europa!“ leitet.

„Über die Zahlen wird man sich meist schnell einig – schwieriger wird es bei kulturellen und geschäftlichen Gepflogenheiten“, berichtet Brunner. „Diese Seminare zu Gepflogenheiten des Nachbarn gehören auch bei uns zum Standardprogramm“, betont der Experte. Die IHK Regensburg versucht deshalb auch mit umfangreichen Austausch- und Begegnungsprogrammen zum Beispiel in Schulen, deutsche und tschechische Jugendliche schon früh miteinander in Kontakt zu bringen.

Eine der wichtigsten Botschaften, die potenzielle Investoren auch beim Pilsner Projektbüro der IHK Regensburg mit auf den Weg bekommen: Die persönliche Atmosphäre zum Gesprächspartner zählt viel. Während hiesige Geschäftsleute schnell zur Sache kommen, schweifen Tschechen gern ins Private ab. „Ein Abend an der Bar kann bei einem Tschechen mehr bewirken als ein tagelanger Verhandlungsmarathon“, sagt Karla Zajicková, die Leiterin der Pilsner IHK-Dependance.

Das weiß auch Georg Braun, einer der Geschäftsführer von Rolladen Braun. Der Betrieb hat drei Verkaufsbüros in Tschechien. „Einige unserer Kunden sind mittlerweile zu Freunden geworden, ich werde sogar zu Geburtstagen eingeladen“, sagt Braun. Außerdem würden viele Kunden inzwischen die Produkte der Firma an Freunde und Verwandte weiterempfehlen.

„Offizielle Regeln haben in Tschechien oft weniger Gewicht als der persönliche Draht“, sagt auch Dr. Schroll-Machl. „Tschechen lieben die Improvisation“, hat die Forscherin in ihren Arbeiten zu den nationalen deutschen und tschechischen Kulturstandards herausgefunden. Normen und Gesetze würden in Prag oder Brünn per se oft als dumm und unsinnig empfunden. Tschechen halten es den Untersuchungen zufolge für eine ihrer Charaktereigenschaften, flexibel, geschmeidig und findig zu sein. Die Intelligenz bestehe darin, die Regeln zu umgehen. „Durch dieses tschechische Denkmuster ist schon mancher Deutsche kläglich mit seiner Niederlassung gescheitert“, sagt die Psychologin deutlich. Und auch Richard Brunner weiß: „Nur wer sich auf die Tschechen einstellt, wird Erfolg haben.“