Wie schnell Babys sitzen oder sprechen lernen, hängt von ihrer Heimat ab
Aus: Gehirn&Geist, Juli-August 2011
Deutsche Eltern legen schon in den ersten Lebensmonaten ihres Kindes viel Wert auf Kommunikation. Eltern in Kamerun fördern eher die motorische Entwicklung der Säuglinge. Das spiegelt sich in den frühen Fertigkeiten des Nachwuchses, berichtet die Psychologin Monika Knopf von der Universität Frankfurt in der aktuellen Ausgabe des Psychologiemagazins Gehirn&Geist (Ausgabe 07-08/2011).
Bislang galt die Annahme, dass sich Kinder in allen Kulturen ähnlich schnell entwickeln: Wann sie selbständig den ersten Schritt laufen oder das erste Wort sprechen, folge einem universellen Muster. Um das zu überprüfen, verglich nun ein Team von Psychologen um Monika Knopf mit Hilfe standardisierter Tests den Entwicklungsstand von 250 Babys, die teils aus deutschen Universitätsstädten, teils aus einer ländlichen Region Kameruns stammten.
Die Forscher fanden deutliche Unterschiede in zwei Bereichen der frühkindlichen Entwicklung: Grobmotorik und Sprache. Mit einem halben Jahr konnten beispielsweise rund 99 Prozent der Nso-Säuglinge 30 Sekunden lang sitzen, ohne dabei eine Stütze zu benötigen – verglichen mit nur 12 Prozent der deutschen! Dafür punkteten die Babys aus unserem Kulturkreis in Sachen Kommunikation: Mehr als jedes dritte vermochte mit drei Monaten schon zwei Vokale zu artikulieren, jedes sechste auch zwei Konsonanten. Beides gelang nur rund drei Prozent der gleichaltrigen Nso. Der sprachliche Vorsprung vergrößerte sich bis zum neunten Lebensmonat sogar noch leicht. Hingegen hatten sich die motorischen Fähigkeiten der deutschen Kinder zu diesem Zeitpunkt denen der gleichaltrigen Nso angeglichen.
Offenbar fördern Eltern verschiedener Kulturkreise ihren Nachwuchs vor allem beim Erwerb jener Fähigkeiten, die in ihrer Gesellschaft besonders geschätzt werden. Während die Nso-Eltern früh versuchen, Babys zum Sitzen oder Stehen zu bewegen, sprechen Väter und Mütter in unserem Kulturkreis viel mit ihren Kindern.
Die Unterschiede zwischen den Säuglingen gründen aber nicht unbedingt auf stabilen Fähigkeiten. In beiden Kulturen fielen die Testergebnisse nämlich je nach Tagesform unterschiedlich aus – erst mit zunehmendem Alter stabilisierten sie sich. Welches Entwicklungsniveau die Kinder letztlich erreichen können, lässt sich anhand der Tests noch nicht vorhersagen.