Freitag, 3. Juni 2011

Wie aus Nachbarn Freunde werden

Abschlusskonferenz in Tachov: Beim größten bayerisch-böhmischen Schüleraustausch der letzten Jahre wurde vor allem eines deutlich: Praxis verbindet – jenseits jeder Sprachbarriere.

Regensburg/Pilsen (ce-press - internet-zeitung) – „Der Funke ist übergesprungen, aus Nachbarn sind Freunde geworden“, sagt Studienrat Martin Zimmermann von der Georg-von-Scherr-Realschule im ostbayerischen Neunburg vorm Wald. Gemeinsam mit zwölf Schülern seiner achten und neunten Klassen hat er in diesem Frühjahr an einem Experiment teilgenommen, das es in dieser Form in Süddeutschland noch nicht gegeben hatte – einem groß angelegten deutsch-tschechischen Schüleraustausch mit „Praxisplus“. Initiiert vom Projekt „Wir sind Europa!“, einer grenzüberschreitenden bayerisch-böhmischen Wirtschaftsinitiative der Industrie- und Handelskammer Regensburg und der Bezirkswirtschaftskammer Pilsen, und koordiniert von Tandem, dem Koordinierungszentrum für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch, entdeckten 115 Schüler aus sieben ostbayerischen und fünf westböhmischen Schulen das Nachbarland. Das gemeinsame Fazit: Es ist vor allem die Praxis, die verbindet. Oder, wie es einer der Lehrer formulierte:„Aus Steinen, die im Weg liegen, kann eine Brücke gebaut werden.“
Deutsch-tschechische Begegnungen ganz praktisch: Die Schüler haben gemeinsam deutsch-tschechische Drei-Gänge-Menüs gekocht, die Grillgeheimnisse Bayerns und Böhmens ausgetauscht, aber auch in Unternehmen einen Tag lang selbst Hand angelegt, gemeinsam Gewinde geschnitten und Metallteile zusammengefügt. Auch ein Grundkurs in nationalen bayerischen Spezialitäten stand in einer Schule auf dem Programm. „Wir haben den tschechischen Berufsschülern gezeigt, wie die originale bayerische Weißwurst entsteht“, sagt Pädagoge Martin Zimmermann von der Realschule Neunburg. Eine kesselfrische Verkostung sei selbstverständlich inklusive gewesen.

„Es hat sich ganz deutlich gezeigt, dass durch gemeinsames, interaktives Erleben die Sprachbarriere spielend überwunden werden kann“, sagte Projektleiter Richard Brunner von der IHK Regensburg bei der Abschlusskonferenz des Austauschprojekts am Mittwoch (1.Juni) im westböhmischen Tachov. Die deutschen Realschüler aus Auerbach, Furth im Wald, Neunburg vorm Wald, Neutraubling, Waldsassen und Weiden verbrachten jeweils eine Woche bei Berufsschülern in Pilsen, Tachov/Tachau oder Domazlice/Taus und umgekehrt. Die Spezialisierung der tschechischen Berufsschulen reichte dabei vom Bauwesen über die Elektrotechnik bis hin zur Hauswirtschaft.

„Unser Ziel ist ein gemeinsamer Wirtschafts-Lebensraum Ostbayern-Westböhmen“, sagte der Regensburger IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Helmes im tschechischen Tachov. „Mit Förderung dieses praxisnahen Schüleraustauschs haben wir dieser Vision einen weiteren Mosaikstein hinzugefügt“, ergänzte Projektleiter Brunner. Denn durch den Aufenthalt hätten die Schüler auch einen Einblick in die „Arbeitswelt beim Nachbarn“ erhalten und könnten später bei der Suche nach einem Ausbildungs- und Arbeitsplatz grenzenlos aktiv werden.

„Die Schüler sind schon mit einem mulmigen Gefühl über die Grenze gefahren“, erinnerte sich einer der deutschen Lehrer bei der Abschlusskonferenz. Übereinstimmend berichteten alle Betreuungslehrer aber: Innerhalb weniger Stunden sei die Spannung gewichen. Aus Nachbarn seien innerhalb weniger Tage Freunde geworden, so das einhellige Fazit. „Im Notfall half das Wörterbuch“, erinnert sich Renata Hasková, Lehrerin an der Bauberufsschule in Pilsen. Bis heute seien viele Schüler über Facebook miteinander in Kontakt. Auch private Besuche gebe es. Sie hat beobachtet: „Zwei der Schüler haben sogar schon eine gemeinsame Zukunft geplant.“ Die Koordinatoren des Projekts hat das besonders amüsiert: „Denn deutsch-tschechische Paare gibt es ohnehin noch viel zu wenige“, scherzte Jan Lontschar, der Leiter der Tandem-Geschäftsstelle im tschechischen Pilsen bei der Abschlusskonferenz.

In der Oberpfalz gibt es seit einigen Jahren eine groß angelegte Initiative, Tschechisch als Wahlunterricht in den Schulen zu etablieren. Als Vorkämpfer gilt der Oberpfälzer Ministerialbeauftragte für die Realschulen, Ludwig Meier, der bei der Konferenz ebenfalls eine Bilanz seiner Tätigkeit zog. „An 70 Prozent aller Oberpfälzer Realschulen gibt es heute Tschechisch als Wahlfach“, sagte Meier. Ende Mai absolvierten erstmals 42 Schüler eine gemeinsam mit der Prager Karlsuniversität entwickelte Prüfung, bei deren Bestehen die Realschüler ein offizielles Sprachzertifikat erhalten. Drei Jahre hatte Meier für eine solche Anerkennung gekämpft. Die Ergebnisse werden in den nächsten Tagen erwartet.