Die Empfehlung von Pädagogen, Astronomie als Pflichtfach im Unterricht einzuführen, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Bildungsauftrag allgemein bildender Schulen – und auf die Rolle, welche die Himmelskunde dabei spielen kann.
Aus: Sterne und Weltraum, Januar 2010
"Kein Schüler sollte aus der Schule entlassen werden, ohne Anschauung und Kenntnis des Himmels und seiner Wunder gewonnen zu haben." Diese Forderung erhob einer der bekanntesten Pädagogen seiner Zeit, Adolph Diesterweg, im Vorwort seines 1840 erschienenen Buches "Populäre Astronomie". In sinngleicher Form, wenn auch in andere Worte gekleidet, wird sie heute von vielen Lehrern wiederholt: "Wir empfehlen bundesweit zwei Jahreswochenstunden Astronomie im letzten Schuljahr der Mittelstufe für alle Schüler… Zudem sollten astronomische Inhalte ab der Grundschule in allen allgemein bildenden Schulen eine Rolle spielen und alle Schüler erreichen." So steht es in einem offenen Brief, der von Repräsentanten nationaler und internationaler Gremien sowie knapp 300 Einzelpersonen unterzeichnet und vor kurzem den Kultusministerien, den Landtagen, dem Deutschen Bundestag und Spitzenvertretern des Bundes zugestellt wurde.
Es mag seltsam erscheinen, in der heutigen Zeit, in der immer mehr Mängel des Bildungssystems erkennbar werden, die Einführung eins neuen Schulfachs zu fordern. Doch gerade die Behandlung astronomischer Themen im Unterricht vermag nach Meinung der Autoren des offenen Briefes einen grundlegenden Auftrag der Schulen zu erfüllen: nämlich nicht nur Detailwissen anzuhäufen, sondern die Fähigkeit zu vermitteln, mit Zahlen und Fakten umzugehen, diese in einen folgerichtigen Sinnzusammenhang zu setzen und, wenn nötig, kritisch zu hinterfragen.
Da Bildung in Deutschland aufgrund des föderalen Systems Ländersache ist, gibt es keinen bundesweiten Konsens darüber, wie die Astronomie, die älteste aller Naturwissenschaften, im Unterricht zu behandeln sei. Lediglich in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ist Astronomie Pflichtfach. In Sachsen wurde es im Jahr 2007 abgeschafft – trotz heftiger Proteste von Lehrern, Eltern und Schülern. In den alten Bundesländern ist das Unterrichtsangebot seit je auf freiwillige Kursangebote beschränkt, eine Ausbildung von speziellen Astronomielehrern gibt es dort nicht.
Um die Bedeutung der Astronomie für den Lehrauftrag der allgemein bildenden Schulen hervorzuheben, lässt die Zeitschrift „Sterne und Weltraum“ in ihrer Januarausgabe mehrere Pädagogen und Didaktiker zu Wort kommen. Manche von ihnen unterrichten seit Jahren Astronomie an ihrer Schule, andere versuchen, mit außerschulischen Angeboten auf das Interesse von Lehrern und Schülern einzugehen. Der Grundtenor ist bei allen gleich: Astronomie eignet sich in besonderer Weise für das Vermitteln von Zusammenhängen, für Fächer übergreifendes Arbeiten und für das Erlernen von vernetztem Denken.
Skeptiker mögen fragen, was denn die Himmelskunde zur allgemeinen Lebensbewältigung beitragen kann. Unter den Naturwissenschaften ist die Astronomie diejenige, die am besten und anschaulichsten wichtige Kernkompetenzen vermitteln kann. Man erlernt schnell ein Gefühl für Zahlen und ein Gespür für Größenordnungen. Unterstützt durch eigene Beobachtungen lernt man, Fragen an die Natur zu stellen und nach Antworten zu suchen. Man lernt, in großen Zusammenhängen zu denken und logische Strukturen – aber auch logische Brüche – zu erkennen. Man entwickelt ein Gefühl für die Stellung des Menschen im Weltall und eine Demut für die Vorgänge in der Natur. Mit anderen Worten: Die Astronomie fördert den gesunden Menschenverstand.
Im Schulunterricht bietet die Astronomie mit ihrer wahrhaft universellen Themenpalette vielfältige Ansätze, den Lehrstoff durch Bezüge aus der aktuellen Forschung und der Kulturgeschichte zu ergänzen. Schüler staunen, wenn ihnen erklärt wird, dass fast alle auf der Erde vorhandenen chemischen Elemente im Innern von Sternen erzeugt wurden. Frisch erworbene Kenntnisse der Trigonometrie lassen sich durch Bestimmung der riesigen Entfernungen zu den Sternen zwanglos vertiefen. Ein Spektrum des Sonnenlichts, beobachtet mit einem einfachen Taschenspektroskop, führt an moderne physikalische Messtechniken heran. Und ist nicht die Erfindung des Fernrohrs ein Paradebeispiel dafür, wie technische Entwicklungen unser Weltbild verändern können?
Vor allem nutzen astronomische Themen im Unterricht die angeborene Neugier und das Interesse von Kindern und Jugendlichen an den Vorgängen in der Natur und im Universum. Diese Faszination, gepaart mit dem Potenzial für Fächer übergreifendes Arbeiten und vernetztes Denken, macht den besonderen Wert der Astronomie für die schulische Bildung aus.