Freitag, 11. Dezember 2009

Historie mit Fehlern

Sichtlich bewegt erzählte Ronald Reagan 1980 auf Wahlveranstaltungen ein Erlebnis aus dem Zweiten Weltkrieg: von einem Piloten, der einen schwer verletzten Kameraden nicht im getroffenen Bomber zurücklassen wollte. Diese Erinnerung hatte sich Reagan tief eingeprägt – obwohl er das Geschehene in Wahrheit nie erlebte. Die Szene stammte nachweislich aus einem Kriegsfilm.

Aus: epoc 1/2010

Bis zu 40 Prozent unserer Gedächtnisinhalte sind mit mehr oder weniger schwerwiegenden Fehlern behaftet, haben Psychologen und Hirnforscher in den letzten Jahren herausgefunden. Muss die Geschichtsforschung also umdenken? Denn was anderes sind jene Texte, aus denen Historiker Vergangenheit rekonstruieren, als von Zeitzeugen niedergeschriebene Erinnerungen?

epoc, das Magazin für Archäologe und Geschichte aus dem Verlag Spektrum der Wissenschaft, lud den Frankfurter Mittelalterforscher Johannes Fried zu einem Streitgespräch mit Hans-Joachim Gehrke, Althistoriker und Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts. Fried entwickelt eine "Memorik", einer neuartige Quellenanalyse, die auch die Neurowissenschaften mit ins Boot nimmt. Gehrke steht dem skeptisch gegenüber, hält einerseits die etablierte historische Quellenkritik für ausreichend, sieht andererseits nur eingeschränkte Möglichkeiten, neurologische Prozesse ferner Vergangenheiten berücksichtigen zu können.

Führt die Memorik also in letzter Konsequenz zu der Erkenntnis, dass keine sichere Rekonstruktion der Geschichte möglich ist? Letztlich sei das nichts Schlechtes, so der Konsens, denn Aufgabe des Historikers sei es nicht, Wahrheiten zu verkünden, sondern scheinbare Wahrheiten als Mythen zu entlarven.

Über epoc:
epoc, das Magazin für Geschichte, Archäologie und Kultur, erscheint seit 2004. Sechsmal pro Jahr vermitteln Forscher und Fachjournalisten auf mehr als 100 Seiten fundiert und unterhaltsam Wissen über historische Themen und zeigen spannende Zusammenhänge aus Kunst, Kultur und Geistesgeschichte auf. Ein jeweils umfassend beleuchtetes Titelthema zu zentralen Ereignissen, Persönlichkeiten und Kulturen der Welt sowie spannende Reportagen und Essays überzeugen alle zwei Monate rund 40 000 Leser.

Unter http://www.epoc.de finden alle historisch Interessierten Kurzmeldungen und aktuelle Ausstellungstipps. Ein Newsletter und die Chronologs, das Blogportal für Fragen zur Vergangenheit und ihrer Erforschung, halten Sie täglich auf dem Laufenden.