Montag, 31. Januar 2011

Nachhaltigkeit: Umkämpfte Wälder

Schon im 18. Jahrhundert war die Idee der Nachhaltigkeit ein politisches Konzept

Aus: epoc, Ausgabe 2/2011


Aus Sorge vor einem Holzmangel verfasste Hans Carl von Carlowitz 1713 seine "Anweisung zur wilden Baumzucht". Als einer der Ersten sprach er darin vom nachhaltigen Umgang mit der Natur. Damit löste er eine politische Debatte aus, die sogar den Staatsbildungsprozess in der Frühen Neuzeit beeinflusste. In der aktuellen Ausgabe von epoc (2/2011) erklärt der Historiker Richard Hölzl von der Universität Göttingen, warum die Idee der Nachhaltigkeit schon damals ein politisches Konzept war.

Der Berghauptmann aus dem Kurfürstentum Sachsen befürchtete einen Holzmangel, der auch den Bergbau zum Erliegen bringen würde. Bis dahin hatten die Menschen in den Dörfern und Städten im Wald das Prinzip der Notdurft verfolgt: jeder durfte so viel nehmen, wie er für ein standesgemäßes Leben benötigte – Übermaß war verpönt und wurde mit sozialen wie juristischen Mitteln geahndet. Carlowitz Schrift löste eine Debatte aus, die dazu führte, dass der Staat die Waldnutzung regulierte. Erst als sich die landesherrliche Obrigkeit dieser Ressourcen bemächtigte, konnte sich der moderne Staat festigen!

Die Idee der Nachhaltigkeit warnte damals nicht nur vor einem Mangel, sie versprach auch einen Ausweg aus dem Dilemma. Die Vorsorge für die Nachkommen diente einigen Gelehrten dazu, sich als "Experten2 der Waldnutzung zu inszenieren und so ihren Einfluss und ihre Macht zu steigern. Sie identifizierten die Landbevölkerung als Hauptverursacher. Diese Bevölkerungsschicht nutzte den Wald für ihr Überleben, trieb Schweine, Rinder oder Ziegen auf die Lichtungen und besorgte sich Feuerholz. All denen warfen die Gelehrten Verschwendung vor. Im 19. Jahrhundert wurden die Wälder kartografisch erfasst, Baumbestände eingeschätzt und Grenzen festgelegt. Die Verwaltungen erstellten Betriebspläne uns teilten Wälder in Abteilungen auf. Alle diese Reformen stießen auf den Widerstand der ländlichen Bevölkerung. Holz- oder Forstfrevel war in vielen Gegenden Deutschlands nach 1800 ein alltägliches Delikt.

Erst im 20. Jahrhundert löste sich die Idee der Nachhaltigkeit von den Wäldern. Blickt man heute auf die Texte des 18. Jahrhunderts, staunt man einerseits, wie sehr die damaligen Argumente und Ideen den heutigen ähneln: Sie forderten eine radikale Orientierung an den Entwicklungsmöglichkeiten künftiger Generationen, warnten aber auch davor, die Bedürfnisse der Gegenwart zu vernachlässigen. Um eine "nachhaltende" Ressourcennutzung zu erreichen, setzten sie auf Zentralisierung, Wissenschaft und Expertentum. Dabei beeinflusste die soziale Stellung der Experten deren Suche nach den Schuldigen. Der feste Glaube daran, die Natur optimieren, berechnen und vereinheitlichen zu können, charakterisierte das Projekt der Moderne.

Noch heute betrachten wir Nachhaltigkeit als ein vermeintlich objektives Konzept wissenschaftlicher Experten und nicht als einen Aushandlungsprozess verschiedener Lebensweisen. Einer Beamten- und Gelehrtenelite diente die Nachhaltigkeitsidee damals als Vehikel, um sich selbst als Experten der Ressourcennutzung zu erfinden. Und dennoch: Carlowitz und seine Nachfolger beeindrucken durch ihren unbedingten Willen und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Zukunft zu gestalten. Nachhaltigkeit war und ist eine kraftvolle Vision, deren Umsetzung aber von der Teilhabe möglichst vieler abhängt.