Donnerstag, 15. Dezember 2011

Astronomiegeschichte - Die Geschichte von Galileos O

Kunsthistoriker entdecken verschlüsselte Botschaften in einer 400 Jahre alten Schrift des italienischen Gelehrten, der die moderne Astronomie begründete.

Aus: Sterne und Weltraum, Januar 2012

Im Jahr 1610 war der Astronom Galileo Galilei 46 Jahre alt und Professor in Padua. Doch er wollte mehr: eine Anstellung am Hof der einflussreichen Familie Medici in Florenz. Mit der Veröffentlichung seines Buches "Sidereus Nuncius" gelang ihm dies schließlich. Welche hastige Anstrengung und wie viele Hintergedanken in dieser Schrift stecken, erzählt Horst Bredekamp in der Januarausgabe von "Sterne und Weltraum". Dabei findet er auch eine faszinierende Erklärung, weshalb Galilei auf dem "Sidereus Nuncius" seinen Autorennamen als doppeltes "Galileo Galileo" ausweist.

"Botschaft von den Sternen" bedeutet "Sidereus Nuncius" – doch der volle Name des lateinischen Büchleins erstreckt sich als Bandwurmsatz über die gesamte Titelseite: "Botschaft von den Sternen, welche große und höchst wunderbare Erscheinungen offenbart (…), wie sie von Galileo Galileo (…) beobachtet worden sind am Antlitz des Mondes, an unzähligen Fixsternen der Milchstraße, (…) insbesondere aber an vier den Jupiter (…) umkreisenden, von niemand bis auf diesen Tag gekannten Planeten, welche der Autor vor Kurzem als Erster entdeckt und "mediceische Sterne" zu nennen beschlossen hat." Hier werden Planeten, Sterne und Monde noch durcheinandergeworfen: Die "mediceischen Sterne" sind die vier Jupitermonde, die Galilei erst kurz zuvor entdeckt hatte. Er benannte sie sicherlich nicht ohne Hintergedanken nach der Familie Medici.

Im Jahr 2005 tauchte in einem New Yorker Antiquariat eine bislang unbekannte Ausgabe des "Sidereus Nuncius" auf. Kunsthistoriker und Materialwissenschaftler machten sich sogleich an die Untersuchung und verglichen das Exemplar mit den über 80 weiteren, die noch erhalten sind. Die verwendeten Materialien erwiesen sich alle als Originale, was eine spätere Fälschung ausschloss. Die Forscher stellten außerdem fest, dass dieses Exemplar die meisten Fehler enthielt. Es handelt sich demnach um den allerersten Druck, die Korrekturfahne, und ist auch auf entsprechendem Druckfahnenpapier erstellt. Hier sind die feinen Zeichnungen – unter anderem der Mondoberfläche – noch von Galilei handgefertigt; die Druckplatten ließen hierfür Aussparungen. Von dort aus wurden die Bilder auf Kupferplatten übertragen und konnten so in allen weiteren Exemplaren gedruckt werden.

Durch Briefe von Galilei an die Medici ist bekannt, mit welcher Eile er an diesem Werk arbeitete. Das Fernrohr für seine Beobachtungen hatte er erst im Vorjahr 1609 selbst angefertigt, da ihm das vorherige in seiner Leistung nicht genügte. Nun befürchtete Galilei, dass andere Forscher auf denselben Gedanken kommen und ihre Ergebnisse noch vor ihm veröffentlichen könnten. Am 7. Januar 1610 entdeckte Galilei die ersten drei Jupitermonde, am 14. Januar den vierten. Er beschloss am folgenden Tag, ein Buch zu schreiben und ließ nur zwei Wochen später die ersten Druckplatten des Manuskripts erstellen. Parallel dazu beobachtete er weiter die Jupitermonde – im "Sidereus Nuncius" sind noch Daten vom 2. März enthalten. Schon am 12. März lagen 550 gedruckte Exemplare mitsamt Illustrationen vor.

Warum nun also die Verdoppelung des Vornamens, warum das zweifache O? Bredekamp, Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin, findet die Antwort in einer italienischen Redewendung. "Das ist das O des Giotto", sagt man dort, wenn etwas makellos ist. Dieser Ausdruck wiederum geht zurück auf die Geschichte des Renaissancemalers Giotto, der den Papst Benedikt XI einst dadurch beeindruckte, dass er mit einem Schwung einen perfekten Kreis auf Papier brachte. Seither finden sich in der Kunstgeschichte mehrere Anspielungen auf Giottos O: Rembrandt malte 1661 in einem Selbstporträt zwei große Ringe in den Hintergrund. Einstein wurde 1921 gezeichnet, ein Stück Kreide in der Hand, an der Tafel hinter ihm ein formvollendeter Kreis.

Nun also Galilei, der als zweiter Giotto verstanden werden wollte. Er selbst hat immer wieder betont, seine Bestimmung habe darin gelegen, Künstler zu werden. Die symbolische Verknüpfung seines Vornamens mit dem "O des Giotto" setzte Galilei bewusst ein, um seine Leistung als meisterhaft zu deklarieren und sich selbst auf eine Stufe mit dem Renaissancegenie zu stellen.