Mittwoch, 24. Oktober 2012

Atombomben bauen leicht gemacht?

Heidelberg. Ein neues Verfahren zur Urananreicherung macht es besonders einfach, an spaltbares Kernmaterial zu kommen. Physiker warnen: Damit droht die Gefahr, dass die Verbreitung von Nuklearwaffen noch schlechter zu kontrollieren sein wird als bisher. Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Standesorganisation der Physiker ihre Stimme erhebt, um auf militärische Risiken der Kerntechnik hinzuweisen. Doch Wolfgang Sandner, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, spricht im Interview mit Spektrum der Wissenschaft Klartext: Das Silex-Verfahren – es steht für Separation of Isotopes by Laser Excitation, zu deutsch Isotopentrennung durch Laseranregung – verspricht die Herstellung von Kernbrennstoff deutlich zu vereinfachen. Damit aber wird, so Sandner, zugleich auch die Verbreitung von Nuklearwaffen erleichtert.

Aus: Spektrum der Wissenschaft, November 2012

Wie Sandner in der Novemberausgabe von Spektrum der Wissenschaft berichtet, haben die Firmen Hitachi Hitachi und General Electric kürzlich die Genehmigung erhalten, im US-Bundesstaat North Carolina eine Silex-Fabrik zu bauen. Sie dient zunächst dem friedlichen Zweck, Natururan mit dem spaltbaren Isotop Uran-235 anzureichern, um Kernreaktoren mit nuklearem Brennstoff zu versorgen. Doch dasselbe Verfahren kann genauso gut auch Bombenmaterial liefern – und zwar viel unauffälliger, als das bisher möglich war. Auf die dadurch erschwerte Rüstungskontrolle möchten deutsche und amerikanische Physiker rechtzeitig aufmerksam machen.

Zum Hintergrund: Derzeit werden vor allem Gaszentrifugen zur Urananreicherung eingesetzt. Sie nutzen den winzigen Massenunterschied der Uranisotope, um in gewaltigen Großanlagen Kernbrennstoff für Kraftwerke zu gewinnen – oder auch waffenfähiges Material für Atombomben. Bekanntlich wird beispielsweise Iran verdächtigt, seine Zentrifugen nicht nur für friedliche Zwecke einzusetzen. Die Silex-Technik ist da viel effektiver. "Mit Lasern lässt sich Uran pro Durchlauf deutlich stärker anreichern als in Zentrifugen", betont Sandner, selbst ein Spezialist für Laserphysik. "Man schätzt, dass Silex mindestens zehnmal so effizient ist, denkbar ist aber auch ein Faktor Hundert oder Tausend. Eingeweihte Beobachter halten es für möglich, dass innerhalb von 12 Tagen etwa ein Kilogramm relativ hoch angereichertes Uran gewonnen werden kann. Mit Gaszentrifugen fallen in dieser Zeitspanne nur Grammmengen an; darum müssen Zentrifugen zu Tausenden, wenn nicht sogar zu Zehntausenden hintereinander geschaltet werden."

Wesentliche Elemente von Silex sind geheim. Sandner weiß, dass Silex nicht den kleinen Massenunterschied der Uranisotope ausnutzt, sondern ihr unterschiedliches Verhalten bei Laserbestrahlung mit einer ganz bestimmten Wellenlänge. Solche Anlagen sind unverdächtig – die Laser könnten ja auch zum Schweißen dienen – und unauffällig: "Silex-Anlagen können vermutlich viel kleiner gebaut werden als vergleichbare Zentrifugensysteme, die stets große Fabrikhallen benötigen", betont Sandner. "Somit ließen sie sich leicht vor der Satellitenaufklärung verbergen: Sie wären kaum von einem großen Supermarkt zu unterscheiden. Das schafft ein Problem, denn aktuell ist die Beobachtung aus dem Weltall eines der wichtigsten Instrumente, um verdächtige Anreicherungsstätten zu identifizieren." Sandner sieht darum die Gefahr, dass "terroristische Organisationen oder Länder, die bisher völlig unverdächtig waren", mit Silex die internationalen Rüstungskontrollen unterlaufen. Er fordert, den Handel mit den Einzelkomponenten des Silex-Verfahrens zu beobachten und die Suche nach Urananreichungsstätten soweit zu verfeinern, dass auch kleinere Anlagen erkannt werden.

"Silex ist nur ein weiteres Beispiel dafür," meint Sandner, "dass die Kernenergie ein Janusgesicht trägt. Einerseits kann sie nützlich sein, andererseits trägt sie die Möglichkeit zum Atombombenbau in sich. Im Fall von Silex wollen wir als Physiker klar Stellung beziehen: Der unkontrollierten Verbreitung von Atomwaffen muss unbedingt Einhalt geboten werden. Hier haben wir eine echte Verantwortung gegenüber der Gesellschaft."