Mittwoch, 17. Oktober 2012

US Wahlkampf: Psychologische Faktoren entscheiden

Heidelberg. Am 6. November entscheiden die US-Bürger über die Frage: Obama oder Romney? Was eigentlich eine Sache der politischen Überzeugung sein sollte, basiert bei vielen unentschlossenen Wählern allerdings auf eher nebensächlichen Äußerlichkeiten, berichtet das Wissenschaftsmagazin Gehirn und Geist in seiner aktuellen Ausgabe (11/2012). Vor allem eine kompetente Ausstrahlung, maskuline Gesichtszüge sowie eine tiefe Stimmlage sind für die Kandidaten demnach von Vorteil.

Aus: Gehirn und Geist, November 2012

"Schon ein einzelnes Merkmal wie die Stimme kann den Ausschlag geben", so Stanford Gregory, Soziologieprofessor an der Kent State University in Ohio. Laut dem Forscher passen sich rangniedere Personen in ihrer Intonation eher an ranghöhere an, weil sie stärker darauf bedacht seien, einen kommunikativen Einklang herzustellen. Das Frequenzmuster gibt somit Auskunft über den sozialen Status von Gesprächspartnern. Gregory und sein Kollege Stephen Webster verweisen auf frühere TV-Duelle zur US-Wahl 2008: Obama bewies dabei jeweils am Ende seiner Auftritte stimmliche Dominanz, so Gregory.

Auch die Biografien der Bewerber verraten viel über ihre Erfolgschancen. Zwei Ökonom entwickelten hierzu ein simples Prognosemodell: Andreas Graefe von der Ludwig-Maximilians-Universität München und sein Kollege J. Scott Armstrong von der University of Pennsylvania kombinierten 59 biografische und persönliche Merkmale nach einem einfachen Prinzip. Für jeden "Vorteil" vergaben sie einen Punkt – etwa, wenn der Kandidat keinen Bart trägt, ein Buch geschrieben hat, seit längerem verheiratet ist oder einen Collegeabschluss hat. Auch Körpergröße und Erscheinungsbild wurden berücksichtigt. In Sachen kompetenter Ausstrahlung liegt Obama nach einer Studie von Armstrong und Kollegen klar vor seinem Herausforderer Mitt Romney: Auf einer Skala von 0 bis 10 erzielt der Amtsinhaber mit 6,8 Punkten mehr als sein Rivale (6,1).

2011 testeten Graefe und Armstrong rückblickend, wie viele US-Präsidenten seit 1900 einen höheren Summenwert erreichten als ihre jeweils unterlegenen Widersacher. Tatsächlich hatten alle bis auf zwei Wahlsieger (Carter 1976, Clinton 1992) auch im biografischen Index die Nase vorn. Laut Prognosen, die die Forscher auf ihrer Website http://www.pollyvote.com veröffentlichen, spricht zur Zeit alles für eine zweite Amtszeit Obamas. Die diesjährige Wahl findet Graefe besonders spannend: "Laut kandidatenbasierten Modellen müsste Obama siegen. Aber der US-Wirtschaft geht es schlecht, deshalb sehen viele der klassischen ökonomischen Modelle Romney vorn."

Ob und wie sich solche Modelle auf die deutschen Bundestagswahlen übertragen lassen, ist Thema eines Forschungsprojekts, das im Oktober an der Ludwig-Maximilians-Universität München startet. Graefe und seine Kollegen wollen Prognosen für die Bundestagswahlen entwickeln, bei denen sie die Profile der Kanzlerkandidaten berücksichtigen.