Samstag, 22. Dezember 2012

Bauforschung - Die muslimischen Wurzeln der Renaissance

Aus: Spektrum der Wissenschaft, Januar 2013

Heidelberg. Dieser Garten ist einer der wundervollsten Orte; ... seine Blumen tragen ein Lächeln in den Blüten." So schwärmte ein muslimischer Chronist um 1600 von einem Garten Córdobas. Dieses paradiesische Bild von den "maurischen Gärten" vermitteln alte Handschriften wie auch die heute bei Touristen beliebten Anlagen etwa in Granada oder Sevilla.

Doch die bekannten Gärten wurden im Laufe der Jahrhunderte verfremdet, zum Teil auch mit aus heutiger Sicht unzureichenden Mitteln erforscht – und ihre ursprüngliche Substanz damit zerstört. Seit 2006 untersuchen deutsche und spanische Forscher deshalb das Gelände eines mittelalterlichen Gartens aus dem 10. Jahrhundert, das in weiten Bereichen unberührt vorliegt und heute als Weideland für die Stierzucht dient.

Wie der Projektleiter Felix Arnold, Mitarbeiter des Deutschen Archäologischen Instituts, in der Januar-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" berichtet, ähnelte die an einem Berghang nahe Córdoba errichtete Anlage al-Rummaniya in vieler Hinsicht den frühen Renaissancegärten Italiens. Nicht nur das – möglicherweise hatten die muslimischen Architekten bereits die Perspektive "erfunden". Die These, dass von al-Andalus und seinen islamischen Nachfolgereichen in Spanien wichtige Impulse für den Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit ausgingen, gewinnt damit an Gewicht.

In originalen Bodenproben, die vom Schutt der mittelalterlichen Gebäude praktisch eingekapselt worden waren, fanden Archäobotaniker der Universität Madrid zwar keinerlei Hinweise auf Blumen und andere Zierpflanzen. Auf dem Landsitz wuchsen vielmehr Oliven-, Mandel-, Pflaumen- und Sauerkirschbäume. Allerdings gediehen nach heutigem Wissen auch in den ersten florentinischen Gärten des 15. Jahrhunderts Nutzpflanzen. Das in der Renaissance angestrebte Ideal einer harmonischen Landschaftsgestaltung zur inneren Erbauung ließ sich eben auch mit Sträuchern und Bäumen erreichen.

Wirklich verblüfft aber hat die Forscher etwas ganz anderes. Auf der obersten Terrasse, nahe den Empfangs- und Wohngebäuden erstreckte sich einst ein großes Wasserbecken, das Regenwasser speicherte und Kühlung spendete. Dort stand wohl ein Festsaal, von dem aus man durch eine Arkade zum Wasserbecken und den nahen Bergen, sowie durch einen zweiten Bogen zu den darunter liegenden Gartenterrassen und der weiten Flussebene des Guadalquivir hin schauen konnte. Das Besondere aber sind die Abmessungen: Die Verbindungslinien zwischen den Säulen einer solchen Arkade und die Mitte der jeweils gegenüberliegenden Rückwand des Saals ergeben einen Winkel von 60 Grad und damit etwa den Blickwinkel des Menschen bei unbewegtem Kopf.

Die Maler der Renaissance wussten um diese Beschränkung des Blickfelds und berücksichtigten sie bei perspektivischen Darstellungen. Arnold und seine Kollegen glauben nun, dass muslimische Gartenarchitekten schon Jahrhunderte zuvor zumindest rudimentäre Kenntnis davon hatten. Mehr noch: Die Arkaden erscheinen nur dann sinnvoll, wenn sie auf die Bedürfnisse eines Betrachters ausgerichtet waren. Das aber würde die Entdeckung des Individuums im Italien des 15. Jahrhunderts vorweg nehmen. Hätte dann nicht die Renaissance schon vom muslimischen Spanien ausgehen müssen? Auf diese Frage kann Arnold nur antworten: "Wer weiß, wie die Geschichte verlaufen wäre, hätten nicht Glaubenskämpfe und ethnische Konflikte im Jahr 1009 al-Andalus von der Landkarte gefegt. Die Zeit war wohl noch nicht reif."