Dienstag, 9. April 2013

Immer Stress mit der Krippe

Heidelberg. Vor allem "still leidende" Kinder haben oft Probleme bei der Eingewöhnung in Krippen, erklären Wiener Bildungsforscher. Das Magazin Gehirn und Geist (Ausgabe 6/2013) berichtet über die Ergebnisse ihrer Studie zur Kleinkindbetreuung.

Aus: Gehirn und Geist, Mai 2013


Wie Pilze schießen in Deutschland derzeit Krippen aus dem Boden, denn ab August 2013 haben alle Kinder ab einem Jahr einen Rechtsanspruch auf eine Betreuungsmöglichkeit. So müssen in den nächsten Monaten noch Hunderttausende von Plätzen geschaffen werden – bloß wie? Schon jetzt bieten nur wenige Einrichtungen den empfohlenen Betreuungsschlüssel von maximal fünf Kleinkindern pro Erzieherin. Auch krippenfreundliche Experten befürchten, dass die Art der Betreuung dann den Bedürfnissen der Kinder nicht mehr gerecht wird.

Wilfried Datler vom Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien leitete die Wiener Kinderkrippenstudie WiKi. Eines ihrer Hauptergebnisse: Stimmt die Qualität der Krippenbetreuung nicht, wird es kritisch – zumindest für einen Teil der Kinder. Die größten Schwierigkeiten haben dabei jene, die ihre Gefühle nicht so offen zeigen. Datlers Team untersuchte die Eingewöhnung von mehr als 100 Kindern in 71 verschiedenen Einrichtungen. Die Forscher filmten die Kleinen etwa morgens beim Abschied von Mutter oder Vater und beobachteten sie über ein Jahr hinweg in regelmäßigen Abständen. Kinder, die mit negativen Gefühlen nicht hinter dem Berg halten, so das Ergebnis, haben es bei der Eingewöhnung leichter.

So werden die Kleinen liebevoll getröstet, wenn sie weinen – aber eben meist nur dann. Die ruhigen, eher verloren wirkenden Kinder erhalten dagegen wenig bis keinen Trost. Letzteres traf in der Studie auf rund ein Fünftel der beobachteten Kinder zu. Dass es diesen "still leidenden" Kindern nicht gut geht, wird oft nicht erkannt. Vielmehr wird ihr innerlicher Rückzug als erfolgreiche Eingewöhnung fehlinterpretiert.

Datler betont: "Auf die still leidenden Kinder muss viel mehr geachtet und einfühlsamer eingegangen werden." Laut dem Forscher gehe die psychische Belastung durch den Krippenbesuch nicht schnell vorüber, sondern kann Monate lang anhalten. So verlangen viele Kinder noch nach einem halben Jahr in kritischen Momenten nach der Mutter. Kaum eine der in der Wiener Krippenstudie untersuchten Einrichtungen folgte dem anerkannten Konzept zur sanften Eingewöhnung. Im Rahmen einer Folgestudie bieten Datler und sein Team verschiedenen Einrichtungen kostenlose Weiterbildungen an. So wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie sich die Qualität der Betreuung wirksam steigern lässt.