Dienstag, 21. Mai 2013

Die Geburt der Kunst

Heidelberg. Zu Erfindern und Künstlern wurden Menschen nicht erst plötzlich vor 40.000 Jahren, als der Homo sapiens in Europa auftauchte. Denn lange davor erlebte Afrika schon Ausbrüche von kulturellen Neuerungen mitsamt ausgefeilten Technologien, Kunst und Symbolik. Die Forscher sind nun diesen Anfängen unserer Kreativität auf der Spur – und dem Rätsel, wieso unser Gehirn diese neue Gabe gewann.

Aus: Spektrum der Wissenschaft, Juni 2013


Zum Hintergrund: Als der moderne Mensch, der Homo sapiens, vor etwa 200.000 Jahren in Afrika entstand, hatten seine Homo-Vorfahren längst den Faustkeil erfunden und sogar Holzspeere mit Steinspitzen entwickelt, und sie beherrschten das Feuer. Doch die Anthropologen und Paläoarchäologen glaubten bislang, dass Kunst und höhere Kultur erst mit großer Verzögerung auftraten – nämlich erst zu Beginn des Jungpaläolithikums, also im letzten Abschnitt der Altsteinzeit, und zwar in Europa, wo der moderne Mensch auf den "archaischen" Neandertaler traf.

Erst in den letzten Jahren erkennen Forscher, dass sie völlig umdenken müssen. Denn bedeutende Kulturschübe gab es sehr viel früher – und zwar schon in Afrika. Die kanadische Wissenschaftsautorin Heather Pringle stellt die neuen Befunde in der Juni-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" unter dem Titel "Die Geburt der Kreativität" zusammen. Zu künstlerischem Ausdruck fanden Menschen an der afrikanischen Südküste bereits vor 100 000 Jahren: Sie verwendeten Farben, ritzten Muster in Steine und stellten Perlenschmuck her. Noch mindestens 60 000 Jahre früher erhitzen Bewohner derselben Gegend kontrolliert Gesteinsbrocken, was deren Bearbeitung für Werkzeuge wesentlich erleichterte.

Unser großes Gehirn war schon mit dem Homo sapiens entstanden. Offenbar dauerte es aber danach noch viele Jahrtausende, bis dieses Gehirn in heutiger Weise funktionierte. Nötig war dazu nach Ansicht der Forscher zweierlei: einerseits freie Assoziation, also "Tagträumen", und andererseits die Gabe, Umweltgeschehen und eigenes Verhalten differenziert aufeinander zu beziehen. Kreative Menschen beherrschen beides. Vor allem aber können sie leicht zwischen diesen ganz verschiedenen Zuständen hin- und herschalten, vermutlich eine in unserer Evolution erst später erworbene Eigenschaft. Dadurch fällt ihnen plötzlich etwas Neues, nie Dagewesenes ein. Sie werden zu Erfindern und Künstlern.