Erzwungen hatte die Wahlgesetzänderung das Bundesverfassungsgericht auf Grund einer Verfassungsbeschwerde. Zu den Klägern gehörte auch der promovierte Physiker und Wahlrechtsexperte Martin Fehndrich, der im aktuellen Heft von Spektrum der Wissenschaft nun ein Resümee zieht. Demnach sei das neue Gesetz zwar wesentlich gerechter als das alte. Allerdings trage es dem Verhalten heutiger Wähler, die ihre Erst- und Zweitstimme gerne auf verschiedene Parteien verteilen, nur ungenügend Rechnung. Dieses Splitten kann zu einer drastischen Vergrößerung der Abgeordnetenzahl führen. Wenn das neue Gesetz bereits für die Bundestagswahl von 2009 gegolten hätte, säßen laut Fehndrich im derzeit noch amtierenden Bundestag 671 statt 598 Mandatsträger. Bei zukünftigen Wahlen sind 200 und mehr zusätzliche Sitze nicht unwahrscheinlich.
Hintergrund: Die Probleme im deutschen Wahlsystem beruhen auf dem Versuch, zwei unterschiedliche Prinzipien in Einklang zu bringen:
– Personenwahl: Die Hälfte aller Bundestagssitze soll an diejenigen gehen, die in einem der (zurzeit 299) Wahlkreise die Mehrheit der Erststimmen erhalten ("Direktmandat");
- Verhältniswahl: Die Anzahl aller Sitze für eine Partei soll ihrem Zweitstimmenanteil proportional sein ("Proporz").
Erschwerend kommt hinzu, dass beide Forderungen nicht nur für den gesamten Bundestag, sondern für jedes Bundesland einzeln erfüllt werden sollen. Um diesen Konflikt zu lösen, nimmt das neue Gesetz in Kauf, dass die Inhaber der Direktmandate weniger – möglicherweise weit weniger – als die Hälfte der Abgeordneten stellen.