Münster (medien-loge) - Wir alle kennen sie aus dem
Biounterricht: Tetrahymena, winzige, pantoffeltierähnliche Einzeller, die wohl
in jedem See oder Tümpel zu finden sind. Nun sollen sie helfen, einen
Grippeimpfstoff herzustellen, dessen Produktion doppelt so schnell und sicherer
als der bisherige Standard ist: Engpässe und Risiken bei Impfstoffen für die
saisonale oder pandemische Grippe gehören damit schon bald der Vergangenheit an.
Das Verfahren wurde von der Biotech-Firma Cilian AG aus Münster entwickelt und
befindet sich aktuell in der Testphase. Das Paul-Ehrlich-Institut, das
Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, hat jetzt grünes
Licht für die weitere Entwicklung gegeben.
Mit Erteilung des Scientific Advise durch das
Paul-Ehrlich-Institut gleich beim ersten Antrag ist die erste große, offizielle
Hürde für das Pantoffeltierchen-Vakzin bereits überwunden: Nachdem erste Tests
des Impfstoffes CiFlu® in Tieren positiv waren und das bisherige Standard-Vakzin
in der Wirkung sogar übertroffen haben, wird das Bundesinstitut nun
weitergehende „in vivo-Tests“ begleiten und Beratung leisten: Ein erstes
öffentliches Signal für das große Potenzial hinter dem Verfahren.
Schutz vor Vogelgrippe denkbar
Doch warum ist die Produktion mit Hilfe der Tetrahymena
eigentlich so viel besser?
„Ich beobachte die Forschungen der Cilian AG schon
seit Jahren sehr genau“, erläutert Professor Dr. Tiedtke, Zellbiologe und
Biotechnologe von der Universität Münster. „Tetrahymena-Zellen bieten uns viele
Vorteile. Sie haben als Eukaryoten Eigenschaften wie menschliche Zellen. Das
heißt, die Substanzen lassen sich auf gleiche Weise herstellen und sind harmlos
für Mensch und Tier. Außerdem wäre eine solche Impfstoffproduktion
unvergleichlich schneller als die üblichen Methoden. Sie ist flexibel – und
könnte uns eines Tages auch vor der Vogelgrippe schützen.“
Pantoffeltierchen sind schneller als Hühner
Das Tempo von Impfstoffproduktionen ist häufig ein
entscheidender Faktor: Das Bundesgesundheitsministerium empfiehlt, sich jährlich
im Zeitraum von September bis November gegen die Influenza, gemeinhin als Grippe
bekannt, impfen zu lassen. Das betrifft insbesondere Kinder und ältere Menschen.
Doch was, wenn Probleme bei Herstellung und Lieferung des Impfstoffes aufkommen
– so geschehen vergangenes Jahr in Bayern und Norddeutschland? Das Zeitfenster
für die Produktion ist knapp: Aufgrund ständiger Mutationen legt die World
Health Organization (WHO) erst im Februar die relevanten Erreger für das
Winter-Vakzin fest. Beim zurzeit gängigen Verfahren in Deutschland wird der
Impfstoff mit großem Aufwand in embryonierten Hühnereiern gezüchtet. Die
Hühner-Embryos werden dafür mit dem Virus infiziert, der sich in ihrem Körper
vermehrt. Alleine dieser Vorgang dauert in der Regel mehr als zwei Monate.
Abhilfe könnte hier bald der rekombinante, das heißt
biotechnisch produzierte, Impfstoff CiFlu® schaffen. „Unser Verfahren ist sehr
viel effizienter und sauberer“, so Dr. Marcus Hartmann, Vorstand der Cilian AG.
„Im Vergleich zum bisherigen Standard-Vakzin könnten wir größere Mengen fast
doppelt so schnell liefern. Das gilt für die saisonale Grippe, aber auch für
Pandemien, die sich schnell in der Bevölkerung verbreiten.“
Weiterer Vorteil: Mehr Sicherheit
Die Außenhülle oder Membrane von Grippeviren besteht zu
großen Teilen aus einem Protein bzw. Eiweiß: Das so genannte Hemagglutinin.
Hartmann und sein Team programmieren die DNA der Tetrahymena in einem komplexen
High-Tech-Prozess so um, dass sie nur diesen Stoff produzieren. Durch die
Impfung mit Hemagglutinin bildet der Mensch Antikörper, die den Grippevirus
erkennen und sich langfristig an das Protein erinnern. Sie können daher die
Oberfläche von Viren schneller identifizieren und effektiv bekämpfen.
Die Produktion des Hemagglutinins eröffnet neben der
Herstellungs-Geschwindigkeit einen weiteren Vorteil: Herkömmliche Impfstoffe
bestehen teilweise aus abgeschwächten Viren oder virenartigen Partikeln, CiFlu®
hingegen lediglich aus Eiweißen. „Bei der Virenzucht in Hühnereiern oder anderen
Expressionssystemen besteht immer ein Kontaminationsrisiko, weil man halt mit
Erregern oder Partikeln davon hantiert. Um das Risiko zu begrenzen, sind
erhebliche Aufwendungen und Vorkehrungen notwendig“, so erklärt Hartmann,
während er mit Hemd und Jeans im Labor steht. „So legere, wie ich hier gleich
neben der Impfstoffproduktion stehe, ist das bei den bisherigen Verfahren nicht
möglich: Da werden richtige Schutzanzüge getragen. Aber hier könnte ich mit der
bloßen Hand in einen der Behälter reingreifen – mir würde nichts passieren.“
Kein Antibiotikum, Quecksilber oder Formaldehyd im
Impfstoff
Außerdem gibt es im Pantoffeltier-Vakzin keine
umstrittenen Inhaltsstoffe wie Quecksilber, Antibiotikum oder Formaldehyd. Bei
Standard-Impfstoffen sind geringe Dosen davon zu finden – unter anderem wegen
des Aufwaschungsprozesses.
Die Inhaltsstoffe hatten zuletzt bei einigen Teilen der
Bevölkerung für Ressentiments gegenüber der Impfung gesorgt. Lediglich zehn bis
15 Prozent der Deutschen lassen sich tatsächlich vor der saisonalen Grippe
schützen – mitunter aus Furcht vor Nebenwirkungen oder unverträglichen
Inhaltsstoffen. „CiFlu® ist in der Hinsicht sauberer“, so Hartmann. „Da wir
lediglich ein harmloses Protein produzieren, sind wir sicher, dass auch die
Nebenwirkungen geringer sind. Das werden die nächsten Tests wissenschaftlich
bestätigen.“
Mit dem Scientific Advise durch das Bundesinstitut
steht fest: Sobald die Pantoffeltierchen auch die kommenden Tests bestanden
haben, steht den ersten Versuchen im Menschen nichts mehr im Wege. Ein
entsprechender Kooperationspartner für die klinischen Studien wurde bereits
gefunden.
„Die Entscheidung des Paul-Ehrlich-Institutes zeigt das
Interesse der Experten an dem Verfahren“, so Tiedtke, der sich seit Jahrzehnten
mit den besonderen Eigenschaften der Tetrahymena beschäftigt hat. „Ich glaube,
dass Dr. Hartmann möglicherweise eine sehr gute, schnelle und sichere
Alternative gefunden hat, wirksame Impfstoffe zu produzieren.“
„Wir freuen uns sehr über die Unterstützung durch das
Paul-Ehrlich-Institut. Wenn die Tests so erfolgreich verlaufen wie bislang, wird
unser Impfstoff einiges verändern – so ein bisschen wie das IPhone den
Mobilfunkmarkt revolutioniert hat“, so Cilian-Vorstandsvorsitzender Christian
Scheiner. „Wir sind guter Dinge, dass wir mittelfristig mit CiFlu® auf den Markt
gehen können. Und wir bereiten uns strategisch darauf vor, dass unsere Partner
dann in großen Mengen produzieren werden.“