Montag, 30. Dezember 2013

Regensburger Mediziner: Bei Tinnitus helfen Ohrstöpsel oft mehr als High-Tech-Hörhilfen

Regensburg (obx) - Gehörerkrankungen entwickeln sich in Deutschland zur Volkskrankheit. 14 Millionen Deutsche leiden bereits an Hörproblemen: Tinnitus (Ohrgeräusch), Schwerhörigkeit, Geräuschüberempfindlichkeit, Druck im Ohr und Schwindel. Ursache für die zunehmende Zahl von Gehörkranken ist die wachsende "akustische Umweltverschmutzung", also ein in Summe ständig zunehmender Lärmpegel, sagen Fachleute. "Und es ist vor allem die fehlende Prävention", kritisiert jetzt der Regensburg Ohr-Experte, Dr. Lutz Wilden, Initiator der Arbeitsgemeinschaft "Das gesunde Ohr" (www.dasgesundeohr.de). Die Versorgung mit Hörgeräten sei ein Millionengeschäft. Wirklich helfen würde überforderten Gehörorganen aber etwas anderes: die Reduzierung des Alltagslärms, zum Beispiel durch die Nutzung einfacher Ohrstöpsel.

15 Prozent aller Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 19 Jahren hören schlecht. 70 von 1000 tragen bereits ein Hörgerät. "In Deutschland muss mehr getan werden, die Lärmbelastung zu reduzieren, damit nicht immer mehr Menschen von  Schwerhörigkeit und Tinnitus betroffen werden", sagt Dr. Wilden. Die zunehmende Verbreitung und immer schnellere Verschreibung von Hörgeräten sei der falsche Weg zur Lösung des Problems. "Wir können keinen Schmerz mit mehr Schmerz austreiben. Wir können Diabetes nicht durch erhöhte Zuckerzufuhr heilen. Ebenso wenig können wir ein durch Lautstärke überfordertes Hörorgan mit noch mehr Lärmüberflutung etwa durch Schall verstärkende Hörgeräte heilen".

Wilden setzt auf die Regenerationsfähigkeit im Innenohr mit seinen 25.000 Hörzellen in der Hörschnecke. "Wie alle Nervenzellen begleiten diese Zellen uns durch das ganze Leben und besitzen deshalb eine hohe Regenerationsfähigkeit, wenn ihnen im Alltag ausreichend Zeit und Möglichkeit zur "Erholung" gegeben wird", sagt der Mediziner. Deshalb, so die Arbeitsgemeinschaft "Das gesunde Ohr", sei Ruhe vor dem permanenten Umgebungslärm der wirkungsvollste Schlüssel, diese Hörzellen fit zu halten.

"Es ist angesichts der Milliardenumsätze der Hörgeräteindustrie nicht erstaunlich, dass aus dieser Richtung so wenig für die Aufklärung der Bevölkerung und zur aktiven Vermeidung vor Gehörschäden getan wird", kritisiert Wilden. Zur vorbeugenden Vermeidung von Hörproblemen und zum Schutz vor wachsendem Umweltlärm empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft "Das gesunde Uhr" ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles Mittel: So oft wie möglich passende Ohrstöpsel benutzen. Das sei eine Wohltat für die Ohren - und oft auch für die Nerven.

Wilden kämpft mit seinem Institut seit Jahren auch gegen die Behandlung von Tinnitus mit künstlich erzeugten Gegengeräuschen. "Therapieansätze, die zunächst versuchen, wieder den Gehörzustand des Tinnitus-Patienten zu stabilisieren gibt es in der konventionellen Medizin kaum. Stattdessen werden die Patienten, auch von den Kassen finanziert, mit allen möglichen Hörgeräten versorgt und es wird versucht, das Gehirn zu manipulieren, das angeblich Auslöser für das Tinnitus-Geräusch sein soll. "Eine Theorie, die wissenschaftlich nicht bewiesen und nicht haltbar ist", so Dr. Wilden.

Dass Lärmreduzierung im Alltag wirkungsvoll helfen kann, sei indes für jeden Tinnitus-Patienten selbst leicht nachzuprüfen. "Schützt ein Tinnituspatient über mehrere Tage, Wochen und Monate sein überlastetes Hörorgan, indem er im Alltag wann immer möglich Ohrstöpsel benutzt, reduzieren sich nach unseren jahrelangen  Erfahrungen die quälenden Symptome oder sie verschwinden sogar ganz", sagt der Mediziner. Dr. Wilden: "Das gilt vor allem bei Kindern in der Akutphase des Tinnitus. Selbst bei chronischem Tinnitus kann die massive Abschirmung von Alltagslärm spürbare Hilfe bringen."