Revolution in der Behandlung von Pankreaserkrankungen: CILIAN AG und Unikliniken Münster und Bochum entwickeln neues Medikament
Münster - Forscher wollen die Behandlung von Erkrankungen der
Bauchspeicheldrüse (Pankreas) revolutionieren: In Kooperation mit den
Unikliniken Münster und Bochum entwickelt das Biotechunternehmen CILIAN
AG aus Münster ein Medikament, das Patienten mit wichtigen
Verdauungsenzymen versorgt. Das neue Verfahren ist erheblich sicherer
und sauberer als der bisherige Standard.
Unterstützung
bekommen die Wissenschaftler dabei aus der Welt der Mikroorganismen:
Pantoffeltierchenartige Einzeller werden biotechnisch so bearbeitet,
dass sie die gewünschten Enzyme produzieren. Gefördert wird das Projekt
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Ein
Beispiel für die Anwendung des neuen Verfahrens ist die Behandlung von
Patienten mit so genannter „exokriner Pankreasinsuffizienz“. Bei dieser
Volkskrankheit ist die Bauchspeicheldrüse entzündet und produziert zu
wenige Verdauungsenzyme: Der Körper ist nicht mehr in der Lage, fettige
und eiweißhaltige Nahrung zu spalten. Durchfälle, Gewichtsverlust und
Mangelernährung sind die Folge.
Aber
auch Patienten mit anderen Krankheitsbildern wie chronische
Pankreatitis, Mukoviszidose oder Bauchspeicheldrüsenkrebs können mit
dem so genannten Cilase®-Medikament therapiert werden.
Pankreas-Experte: „Wir brauchen dringend eine Alternative!“
„Wir
haben alleine bei uns im Haus zahlreiche Patienten, die genau solch ein
Mittel benötigen“, erläutert Professor Dr. Waldemar Uhl, Leiter des
universitären Pankreaszentrums am Sankt Josef Hospital Bochum. Der
Wissenschaftler, der sich seit rund 30 Jahren mit Pankreaserkrankungen
beschäftigt, betont damit die Relevanz für den klinischen Alltag. Aus
diesem Grund hat sich Uhl bereit erklärt, CILIAN bei der Entwicklung des
neuen Medikamentes, der so genannten Cilase®, zu unterstützen. „Die
Zulassungsbehörden stehen dem jetzigen Standard-Medikament extrem
kritisch gegenüber. Wir brauchen hierfür dringend eine Alternative! Die
Lösung von CILIAN kommt da genau richtig“, so Uhl.
Wimperntierchen-Einzeller helfen bei der Verdauung
Bei
dem innovativen Verfahren produziert ein Forscherteam von CILIAN die
wichtigen Verdauungsenzyme mit Hilfe eines pantoffeltierchenartigen
Einzellers, der der Gattung der Wimperntierchen angehört.
„Diese
Wimperntierchen eignen sich perfekt, weil sie einfach im Labor zu
halten sind, sich rasend schnell vermehren und den menschlichen Zellen
in entscheidenden Punkten ähneln“, erläutert Dr. Marcus Hartmann,
wissenschaftlicher Kopf bei CILIAN. In einem komplexen biotechnischen
Prozess programmiert sein Team die DNA der Kleinstlebewesen – und kann
schließlich die Verdauungsenzyme abernten. Hartmann erläutert: „Die
Enzyme der Wimperntierchen können absolut sauber und frei von
unerwünschten Nebenstoffen hergestellt werden. Ein besseres Verfahren
gibt es nicht.“
Unsicher: Verdauungsenzyme vom Schlachthof
Beim
jetzigen Standard-Medikament, dem so genannten Pankreatin, werden die
Verdauungsenzyme aus Schweinepankreas gewonnen. Dafür nutzen die
Pharmaunternehmen Abfälle von Schlachthöfen.
Diese
Methode ist aus ethischen Gründen vielfach kritisiert, die Verwendung
von Schweineprodukten ist insbesondere in Teilen der islamischen
Gesellschaft untersagt. Viel wichtiger ist jedoch, dass
Schlachtabfall-Medikamente große Sicherheitslücken bergen: Das Verfahren
kann kaum ausreichend standardisiert werden und es ist häufig nicht
nachzuvollziehen, unter welchen Umständen die Tiere gehalten wurden.
„Das
Infektionsrisiko ist einfach höher“, erläutert Uhl. „Es würde mich
nicht wundern, wenn es bald Auflagen gibt, die die Verabreichung von
Pankreatin entweder einschränken oder gänzlich untersagen.“
„Die
skeptische Haltung der Zulassungsbehörden gegenüber dem Pankreatin ist
mehr als angebracht. Hiobsbotschaften aus der Fleischindustrie sind ja
nichts Neues: Man denke nur an Gammelfleischskandale oder
Schweinegrippe. Schädliche Inhaltsstoffe wie Antibiotika oder Keime sind
da nur noch kleine Aufreger“, so Hartmann. „Unser Verfahren ist ethisch
völlig unbedenklich und bedeutet eine erhebliche Verbesserung des
Produktionsprozesses – zur Sicherheit aller Patienten.“
Uniklinikum Münster testet, Bund fördert
Um
Hartmanns Vision zu realisieren, hat CILIAN neben dem Uniklinikum
Bochum wichtige Partner gewonnen: Der Bund fördert das Projekt mit einem
Millionenbetrag und das Universitätsklinikum Münster testet die
produzierten Verdauungsenzyme unter verschiedenen Bedingungen.
„Die
menschliche Verdauung findet in sehr unterschiedlichen, teils extremen
Milieus statt“, erläutert Dr. Jürgen Schnekenburger, Leiter des
biomedizinischen Technologiezentrum am Universitätsklinikum Münster.
„Wir haben es mit diversen säurehaltigen Magen- und Pankreassäften zu
tun. Unsere Aufgabe ist es, zu überprüfen, wie die von CILIAN
entwickelten Enzyme unter solchen Bedingungen arbeiten.“
Zu
diesem Zweck bereitet Schnekenburger mit seinem Team zahlreiche
menschliche Magensaft-Proben auf. Anschließend mischt er die
Wimperntierchen-Enzyme bei und analysiert das Ergebnis. Der Forscher
gibt sich zuversichtlich: „Wenn ich mir die bisherigen Testergebnisse
ansehe, bin ich sicher, dass wir Enzyme identifizieren, die unsere
Anforderungen erfüllen.“
„Bereits jetzt sehr gute Kandidaten für die Lipase gefunden!“
Die
Sekrete, die Schnekenburger nutzt, stammen indes von echten Menschen:
Aus dem Universitätsklinikum Bochum. Während größerer Eingriffe entnimmt
Uhls Chirurgen-Team kleine Magen- und Bauchspeicheldrüsensaft-Proben
verschiedener pankreaserkrankter Patienten – ein medizinisch völlig
unbedenkliches Verfahren. Die Flüssigkeiten werden anschließend nach
Münster versendet.
„Wir
haben bislang die Sekrete von rund 80 Patienten nach Münster
geliefert“, erläutert Uhl. Auch der Bochumer Pankreas-Experte ist vom
Erfolg der Cilase® überzeugt: „Das ganze Projekt entwickelt sich sehr
gut. Wir haben schon einige sehr gute Enzym-Kandidaten für die Lipase –
das heißt für die Spaltung der Fette – gefunden!“
Erste in vivo Tests erfolgreich
Bei
CILIAN, wo die Fäden zusammenlaufen, werden schon die nächsten Schritte
geplant. Nachdem erste in vivo Tests der Cilase® bereits sehr
erfolgreich waren, sollen weitere Untersuchungen in den
Tierversuchsanlagen der Universität Münster erfolgen.
„Die
Nachfrage nach einem Mittel wie die Cilase® ist extrem hoch“, so
CILIAN-CEO Christian Scheiner. „Wir wollen dem Bedürfnis so vieler
Patienten natürlich zeitnah nachkommen und werden das Medikament so
schnell wie möglich zur Marktreife bringen.“