Freitag, 16. Januar 2015

Wenn Riesen-Eier im Meer reisen

Mädchen mit Riesen-Ei, Zeichnung: Antja Püpke, Berlin, http://www.fixebilder.de

München / Wiesbaden (internet-zeitung) – Auf ungewöhnliche Weise sind zwei Riesen-Eier des bis zu 3 Meter großen Elefantenvogels Aepyornis maximus von der Insel Madagaskar vor Ostafrika über Tausende von Kilometern hinweg nach Australien gelangt. Nach Ansicht von Experten dürften jene Riesen-Eier auf Madagaskar nahe der Meeresküste in den Indischen Ozean geraten und vom Wasser weit transportiert worden sein. Nachzulesen ist dies in dem Taschenbuch „Vogelriesen in der Urzeit“ (GRIN-Verlag, München) des Wiesbadener Wissenschaftsautors Ernst Probst.
In den 1930-er Jahren entdeckte der zehnjährige Victor („Vic“) Roberts in einer Sanddüne südlich des Scott River bei Augusta in Western Australia ein riesiges Vogel-Ei. Der Fundort liegt etwa 200 Kilometer südlich von Perth und ist rund 100 Meter von der Meeresküste entfernt. Als „Vic“ bemerkte, wie schwer dieses Ei war, machte er ein Loch in der Schale und entleerte den Inhalt, der ihm wie Sand erschien. Der Fossiliensammler Harry Butler erblickte 1962 in einem Farmhaus in Nannup diesen ungewöhnlichen Fund und informierte darüber das „Western Australian Museum“ in Perth. Großzügigerweise überließ der Entdecker „Vic“ Roberts das seltene Fossil dem Museum als Leihgabe. Das so genannte „Scott River-Ei“ ist 27,6 Zentimeter lang, maximal 20,7 Zentimeter hoch und hat eine bis zu 4 Millimeter dicke Schale.
1968 erzählte der 46-jährige „Vic“, der inzwischen ein angesehener Viehzüchter und Lokalpolitiker war, einer Zeitung in Western Australia, nur „einen Katzensprung“ von dem Vogel-Ei entfernt, habe er damals zumindest einen Teil eines Skeletts mit seinem sehr großen Schädel und Schnabel gesehen. Weil sich die Sanddünen durch Wind ständig verschoben und verändert hätten, habe er die Skelettreste später nicht mehr finden können.
Drei australische Schüler stießen Weihnachten 1992 in einer Sanddüne, etwa 7 Kilometer nördlich von Cervantes in Western Australia sowie rund 300 Meter von der Meeresküste entfernt, auf ein noch größeres Vogel-Ei. Jenes Ei ist 31,7 Zentimeter lang und hat eine bis zu 3,45 Millimeter dicke Schale.
Ein Artikel in der Zeitung „The Sunday Times“ vom 21. März 1993 über diesen Fund erregte großes Aufsehen. Es folgten Versuche der Entdecker, das Riesen-Ei zu verkaufen, und Diskussionen über die Eigentümerrechte, weil das Fossil auf Regierungsland geborgen worden war. Schließlich zahlte die Regierung von „Western Australia“ freiwillig 25.000 Dollar an die Familien der Entdecker und das Riesen-Ei kam in das „Western Australian Museum“ in Perth, wo es unter der Fundnummer „WAM93.9.1“ aufbewahrt wird. John A. Long berichtete 1993 in der wissenschaftlichen Publikaton „Australian Natural History“ über das „Cervantes-Ei“.
1998 befassten sich John A. Long, Patricia Vickers-Rich, Karl F. Hirsch, Emily Bray und Claudio Tuniz mit den 1930 und 1992 in Western Australia entdeckten Riesen-Eiern. Größe und Struktur dieser Riesen-Eier deuten nach ihrer Ansicht darauf hin, dass es sich um fossile Eier des Elefantenvogels Aepyornis maximus auf der Insel Madagaskar im Indischen Ozean vor Ostafrika handelt. Datierungen mit der Radiokarbon-Methode ergaben ein Alter von etwa 2.000 Jahren für das „Cervantes-Ei“. Die Forscher Long, Vickers-Rich, Hirsch, Bray und Tuniz vermuteten, das „Scott River-Ei“ und das „Cervantes-Ei“ seien auf dem Indischen Ozean von Madagaskar nach Australien geschwemmt und nicht durch Menschen dorthin gebracht worden.
Auch Eier heute lebender Vögel werden zuweilen von weit her auf dem Ozean nach Western Australia transportiert. Auf diese Weise sind im Januar 1974 und im März 1991 Eier des auf subarktischen Inseln brütenden Königs-Pinguins (Aptenodytes patagonicus) aus riesiger Entfernung nach Western Australia gedriftet. Ein Ei von einem Afrikanischen Strauß (Struthio camelus) wurde in den frühen 1990-er Jahren beim Fischfang in der Timor-See nordwestlich der Küste von Western Australian im Netz geborgen.
Dem Buch von Ernst Probst zufolge beträgt der Umfang vollständiger Elefantenvogel-Eier bis zu einem Meter, eine Länge bis zu 35 Zentimetern, eine Höhe von maximal 25 Zentimetern. Die Schalendicke reicht bis zu vier Millimetern. In einer 2003 erschienenen Publikation wurde die Größe von 43 Elefantenvogel-Eiern aus Madagaskar beschrieben. Das größte dieser Eier hat ein Volumen von 10,7 Litern, was einem Gewicht von etwa 12,5 Kilogramm und rund 210 Hühnereiern mit einem Durchschnittsgewicht von 60 Gramm entspricht.
Die ausgestorbenen Riesen-Moa Dinornis novazealandiae und Dinornis robustus von Neuseeland, die mit einer maximalen Höhe von 3,60 Metern als größte Vogel aller Zeiten gelten, legten „nur“ Eier mit einem Volumen von vier Litern. Die größten heutigen Straußen-Eier bringen es auf ein Volumen von zwei Litern. Sollten Ureinwohner auf Madagaskar jemals das Ei eines lebenden Elefantenvogels gefunden haben, wäre ihnen ein Festmahl möglich gewesen.