Eppelsheim / Mainz (internet-zeitung) – Haben am Ur-Rhein in
Rheinhessen vor etwa zehn Millionen Jahren mehr als die drei bisher bekannten
Gattungen von Menschenaffen gelebt? Diese Frage ist nach dem Neufund von zwei
Menschenaffenzähnen in Eppelsheim (Kreis Alzey-Worms) in Rheinland-Pfalz
aktuell. Die spektakuläre Entdeckung eines Menschenaffen-Backenzahnes und eines
-Eckzahnes war im September 2016 bei einer Grabung in etwa acht Meter Tiefe
gelungen. Vor dem Sensationsfund in Eppelsheim im vorigen Herbst kannte man aus
Eppelsheim die Menschenaffengattungen Paidopithex, Rhenopithex und
Dryopithecus.
Von Paidopithex kam 1820 in einer Sandgrube im Gewann
„Jörgenbauer“ bei Eppelsheim ein etwa 28 Zentimeter langer Oberschenkelknochen
ans Tageslicht. Es handelte sich um den weltweit historisch ersten Fund eines
fossilen Menschenaffen! Ernst Schleiermacher, der Direktor des großherzoglichen
Naturalienkabinetts in Darmstadt, deutete das Fossil irrtümlicherweise als
Oberschenkelknochen eines zwölfjährigen menschlichen Mädchens. Der Darmstädter
Paläontologe Johann Jakob Kaup bildete den Oberschenkelknochen erst 1861 in
einer Publikation ab. Dabei erwähnte er die Ähnlichkeit des Eppelsheimer Fundes
und des Oberarmknochens eines fossilen Menschenaffen aus Saint Gaudens in
Frankreich mit dem heutigen Gibbon. 1895 schlug der Bonner Paläontologe Hans
Pohlig für den Eppelsheimer Oberschenkelknochen den wissenschaftlichen Namen
Paidopithex (griechisch: pais, paidos = Kind, pithekos = Affe). Der
Originalfund des Eppelsheimer Oberschenkelknochens hat – im Gegensatz zu
anderen Fossilien im Hessischen Landesmuseum Darmstadt – den Bombenangriff am
27. Februar 1945 heil überstanden. Er trägt den Gattungsnamen Paidopoithex und
den Artnamen rhenanus.
Der schimpansengroße Menschenaffe Rhenopithecus (Rheinaffe)
wurde 1935 von dem Darmstädter Paläontologen Oscar Haupt anhand eines oberen
linken Eckzahns aus dem Gewann „Jörgenbauer“ bei Eppelsheim erstmals
wissenschaftlich beschrieben. Ein nur 2,7 Zentimeter hoher Eckzahn eines
männlichen Tieres von Rhenopithecus eppelsheimensis ist das Typusexemplar, nach
dem diese Art erstmals beschrieben wurde. Eppelsheim gilt als Typuslokalität.
Der seltene Menschenaffenzahn wird im Hessischen Landesmuseum Darmstadt
aufbewahrt. Wenn Rhenopithecus eppelsheimensis so groß war wie heutige
Schimpansen, erreichte er eine Kopfrumpflänge bis zu 95 Zentimetern. Erwachsene
Männchen könnten bis zu 70 Kilogramm gewogen haben.
Erst 2000 wurde der Menschenaffe Dryopithecus sp. bei einer
Grabung des Frankfurter Forschungsinstituts Senckenberg im Gewann „Auf dem
Alzeyer Weg“ bei Eppelsheim nachgewiesen. Bei diesem optisch unspektakulären
Fund handelt es sich um das Bruchstück eines Fingerknochens von etwa 1,5 Zentimeter
Länge. Dieses stammt nach Ansicht der Paläontologen Jens Lorenz Franzen aus
Frankfurt am Main (heute Titisee-Neustadt), Ottmar Kullmer aus Frankfurt am
Main und Jeremy Tausch aus New York von einem so genannten Dryopithecinen
(Dryopithecus sp.). Der Gattungsname Dryopithecus (Baumaffe oder Affe aus dem Eichenwald) fußt darauf, dass ein anderer
Fund dieses Menschenaffen (Dryopithecus fontani) bei Saint Gaudens (Frankreich)
1856 zusammen mit Resten von Eichen geborgen wurde (griechisch: drys = Eiche,
pithecos = Affe). Dryopithecus war je nach Art etwa 70 Zentimeter bis 1,50
Meter groß. Die Backenzähne von Dryopithecus weisen ein typisches Furchenmuster
auf. Auf Kauflächen der unteren Backenzähne sind zwischen fünf Höckern Rillen
in Form eines „Y“ ausgebildet. Dieses so genannte Dryopithecus-Muster erscheint
nur bei Vertretern der Überfamilie Hominoidea, die Menschenaffen und Menschen
zusammenfasst. Das Gebiss der Gattung Dryopithecus, das man von anderen
Fundorten kennt, lässt auf einen Waldbewohner schließen, der sich von weichen
Pflanzen ernährte. Der sehr seltene Originalfund des Fingerknochenfragments
eines Menschenaffen aus Eppelsheim wird im Forschungsinstitut Senckenberg in
Frankfurt am Main wie ein Schatz gehütet.
Die Menschenaffen-Zahnfunde aus Eppelsheim vom September
2016 sollen künftig eine der Hauptattraktionen der neuen Dauerausstellung des
Naturhistorischen Museums Mainz bilden.
Zuerst war ein Mitglied des Grabungsteams von Bastian
Lischewsky auf einen rechten oberen Backenzahn gestoßen, dann auf einen linken
oberen Eckzahn. Die beiden Zähne lagen etwa 60 Zentimeter voneinander entfernt.
Der Backenzahn ist 8,5 Millimeter breit und 7,9 Millimeter hoch. Der Eckzahn misst 9,8 Millimeter Länge. Nach ersten
Untersuchungen der hervorragend erhaltenen Menschenaffenzähne kam der
Präparator Thomas Engel vom Naturhistorischen Museum Mainz zu dem Schluss,
dass diese Zähne von einem etwa dreijährigen Menschenaffen stammen.
Dr. Herbert Lutz, stellvertretender Direktor des
Naturhistorischen Museums Mainz, fragt sich, wo die restlichen 24 Zähne des
Eppelsheimer Menschenaffen geblieben sind, wo der Rest des Oberkiefers oder
sogar der ganze Schädel. Angeblich weisen die zwei Menschenaffenzähne aus
Eppelsheim in Struktur und Form verblüffende Ähnlichkeiten zu Zähnen
äthiopischer Vormenschen auf. Dabei handelt es sich um „Ardi“ (Ardipithecus
ramidus, 4,4 Millionen Jahre alt) und „Lucy“ (Australopithecus afarensis)
zwischen 2,9 und 3,8 Millionen Jahre alt). Zu Menschenaffenfunden aus Europa
oder Asien wollen sie angeblich gar nicht passen.
Am spektakulärsten wären die zwei Menschenaffenzähne von
2016, wenn sie von einer bisher nicht aus Eppelsheim bekannten Gattung oder Art
stammen würden. Noch größer wäre die Sensation, wenn der Backenzahn und der
Eckzahn nicht von einer Gattung oder Art, sondern von zwei stammen würden. Ein
weiterer Fundort von Menschenaffenzähnen aus Ablagerungen des Ur-Rheins ist der
Wissberg bei Gau-Weinheim (Kreis Mainz-Bingen), wo Rhenopithecus nachgewiesen
ist. Offenbar waren die Ufer des Ur-Rheins ein Paradies für Menschenaffen.
Vermeintliche sensationelle Entdeckungen von
Menschenaffenzähnen oder Frühmenschenzähnen können manchmal mit großen
Enttäuschungen enden. Ein Würzburger Forscher hatte vor etlichen Jahren
geglaubt, einen mehr als 500.000 Jahre alten Frühmenschenzahn gefunden zu
haben, aber es war nur ein Bärenzahn. Ein Mainzer Wissenschaftsautor träumte
mal davon, in einem Steinbruch von Budenheim bei Mainz einen rund 20 Millionen
Jahre alten Menschenaffenzahn geborgen zu haben, doch es war ein fossiler
Schweinezahn.
Im Obermiozän vor rund zehn Millionen Jahren war der Rhein
viel kürzer und schmäler als heute. Statt 1.324 Kilometern Länge und maximal
400 Metern Breite erreichte er damals nur eine Länge von rund 400 Kilometern
und eine Breite bis zu 60 Metern. Damals floss er nicht durch die Gegend von
Oppenheim, Nierstein, Nackenheim, Mainz und Wiesbaden sondern durch den Raum
Alzey. Erst durch Hebungen und Senkungen des Untergrundes verlagerte er sein
Bett immer mehr nach Osten.
Am Ufer des Ur-Rheins lebten Menschenaffen, Säbelzahnkatzen,
Bärenhunde, Hyänen, Hauer-Elefanten, Ur-Elefanten, Nashörner mit und ohne Horn,
dreihufige Ur-Pferde, Waldantilopen, Gabelhirsche, Zwerghirsche, Zwergböckchen,
Tapire, Schweine, Biber und krallenfüßige Huftiere. Über die exotische Tierwelt
am Ur-Rhein informiert das Buch „Der Ur-Rhein. Rheinhessen vor zehn Millionen
Jahren“ (GRIN-Verlag, München) des Wiesbadener Wissenschaftsautors Ernst
Probst. Zusammen mit Dr. Jens Lorenz Franzen und Heinrich Roos hat Probst am
Buch „Das Dinotherium-Museum in Eppelsheim“ mitgewirkt.
Zu Lebzeiten der Menschenaffen am Ur-Rhein vor etwa zehn
Millionen Jahren war es in Rheinhessen spürbar wärmer und feuchter als
gegenwärtig, aber nicht tropisch. Hinweise dafür lieferten Blätter in
Ablagerungen des Ur-Rheins, die von Amber- und Zimtbäumen stammen, die in
Mitteleuropa jetzt nicht mehr wachsen. Wärmeliebende Palmen gediehen jedoch
nicht mehr, die letzten dieser Gewächse in Deutschland kennt man aus der Zeit
vor etwa 17 Millionen Jahren.
Auch Krokodile, die vor rund 15 Millionen Jahren noch durch
fossile Funde nachgewiesen sind, kamen vor zehn Millionen Jahren in Rheinhessen
nicht mehr vor. Diesen wärmeliebenden Reptilien war es in Deutschland zu kalt
geworden. Dagegen existierten am Ur-Rhein noch mehrere Arten von Menschenaffen,
die aber bald danach verschwanden. Vor rund zehn Millionen Jahren herrschten in
Deutschland mittlere Jahrestemperaturen von etwa 11 bis 15 Grad Celsius, heute
sind es 9,5 Grad. Außerdem gab es durchschnittliche Jahresniederschläge
um 1000 bis 1200 Millimeter (heute 500 Millimeter).
Fossile Reste von Menschenaffen hat man auch in Bayern und
Baden-Württemberg geborgen. Bereits 1898 wurde aus rund 15 Millionen Jahre
alten Ablagerungen von Stätzling (heute ein Ortsteil von Friedberg) bei Augsburg ein Unterkieferrest des gibbongroßen
Menschenaffen Pliopithecus antiquus bekannt. Allein in Salmendingen
auf der Schwäbischen Alb fand man in alten Eisenerzgruben elf
Menschenaffenzähne, welche zu vier unterschiedlichen Arten gehören. Als
Fundorte von Menschenaffenzähnen gelten auch Melchingen und Trochtelfingen auf
der Schwäbischen Alb.