Dienstag, 19. Februar 2008

Sexuelle Übergriffe: Unterschätzes Problem: Missbrauch an Jungen

Fast jeder 10. Mann in Deutschland wurde in der Kindheit sexuell missbraucht – doch kaum jemand spricht darüber. Betroffene bleiben in ihrer Not allein und entwickeln oft schwerwiegende psychische Probleme.

Aus: Gehirn&Geist, März 2008

Missbrauchte Jungen, die sich Eltern, Freunden oder Fachleuten anvertrauen, stoßen häufig auf Skepsis und Unglauben. Dabei wurden Dunkelfelduntersuchungen zufolge fünf bis zehn Prozent aller in Deutschland lebenden Männer in ihrer Kindheit Opfer eines Sexualdelikts. Das berichtet das Psychologiemagazin Gehirn&Geist in seiner aktuellen Ausgabe (03/2008).

Laut dem Erziehungswissenschaftler Dirk Bange werden Mädchen häufiger innerhalb der Familie missbraucht, während die meisten Täter, die sich an Jungen vergreifen, aus dem näheren Bekanntenkreis der Familie stammen. Sie sind überwiegend männlich, es gibt jedoch auch Frauen, die Missbrauchsdelikte verüben. Zu diesen rechnen Experten unter anderem Exhibitionismus, Vergewaltigungen oder Vergehen, bei denen Kinder gezwungen werden, Erwachsenen beim Geschlechtsverkehr zuzusehen.

Für viele Opfer haben die Taten gravierende Folgen. Neben psychischen Problemen wie etwa Depressionen, aggressivem Verhalten oder Suizidgedanken beobachten Therapeuten bei missbrauchten Jungen besonders häufig dem Alter unangemessenes Sexualverhalten. Übermäßiges Masturbieren oder ein Detailwissen über Sexualpraktiken können ein Hinweis auf einen Missbrauch sein. Psychische Probleme und abweichendes Sexualverhalten setzten sich oft bis ins Erwachsenenalter fort. So leiden vormals missbrauchte Männer vermehrt unter Problemen wie Erektionsstörungen oder haben Angst vor erotischen Kontakten.

Eltern reagieren auf den Missbrauch des eigenen Kindes in vielen Fällen mit einer akuten Belastungsreaktion – das zeigte eine Studie des kanadischen Instituts für Gesundheitsforschung. Der Untersuchung zufolge traten klinische Stresssymptome bei Müttern und Vätern umso heftiger zu Tage, je weniger positiv sich diese in ihrer Elternrolle beurteilten. Das Verhalten und Erleben der Eltern färbte offenbar auch auf die Kinder ab. Zeigten Mütter und Väter weniger Symptome, traf das auch auf die meisten der missbrauchten Kinder zu.

Spezielle Beratung- und Betreuungsangebote, die sowohl Betroffene als auch Angehörige miteinbeziehen, können die Not der Jungen lindern. Allerdings, so der Experte Bange, wird dies häufig vom Schweigen der Opfer, Eltern und Verwandten verhindert.