Metropole oder Moloch? Babylon wahrt auch nach Jahrtausenden sein Geheimnis
Wohl nur wenige Städte haben sich so nachdrücklich ins Gedächtnis der Menschheit eingeprägt wie Babylon, die am Euphrat gelegene Metropole Mesopotamiens. Allerdings nicht als Ort der Gelehrsamkeit, der sie war, nicht als kulturelles Zentrum, das maßgeblich zur Entwicklung von Mathematik und Astronomie beigetragen hat. Die Chiffre Babylon beinhaltet ganz andere, oft negative Aspekte, wie epoc, das Magazin für Archäologie und Geschichte aus dem Verlag Spektrum der Wissenschaft in seiner aktuellen Ausgabe (4/2010) berichtet.
Aus: epoc, 3/2010
Schon antike Autoren diskutierten eher über die enormen Ausmaße der Stadt. Fast 90 Kilometer sei ihre Mauer lang gewesen, berichtete Herodot, zudem gut 100 Meter hoch. Und der Philosoph Aristoteles bezweifelte gar, dass ein derart gigantischer Komplex überhaupt als Staatsgebilde begriffen werden könne. Schließlich habe die Nachricht von der Eroberung Babylons durch persische Truppen mehr als drei Tage benötigt, um von einem Ende der Metropole zum anderen zu gelangen – wie sollte man so etwas noch eine Stadt nennen können?
Von der Be- und Verwunderung war es nur ein kleiner Schritt, Babylon des Hochmuts zu bezichtigen und ihm Gotteslästerung vorzuwerfen: Biblischen Autoren diente die Kapitale am Euphrat als Gegenmodell, als Beispiel eines Götzen anbetenden Staates. Hatten die Babylonier nicht versucht, einen Turm bis zum Himmel zu bauen (mit der bekannten Folge: Gott verwirrte ihre Zungen, wodurch die Sprachen der Welt entstanden)? Und hatten sie nicht – Generationen später – Jerusalem erobert und das Volk Gottes in die Gefangenschaft entführt? Als Chiffre für Laster- und Sündhaftigkeit blieb die Stadt dem christlichen Abendland in Erinnerung. Die "Hure Babel" diente beispielsweise dem Evangelisten Johannes als Metapher für die verhasste Besatzungsmacht Rom im ersten Jahrhundert nach Christus. Wie aber war Babylon wirklich? Archäologische Grabungen haben seine legendären Dimensionen zwar schrumpfen lassen, dennoch umfasste das gesamte Stadtgebiet maximal an die 450 Hektar (zum Vergleich: das antike Rom erreichte Jahrhunderte später etwa die dreifache Fläche).
Monumentalität war also wirklich ein Kennzeichen Babylons, das seinen Einwohnern als Nahtstelle zwischen der Götter- und der Menschenwelt galt. Nicht zuletzt seine gewaltigen Dimensionen reduzieren selbst die beste, an moderner Forschung orientierte Beschreibung auf ein Stückwerk, denn allein die Ausmaße der Ruinenstätte verhinderten bislang eine umfassende wissenschaftliche Erschließung (allein schon die zu bewegende Schuttmenge zwang bisherige Ausgräber dazu, sich auf Schwerpunkte zu beschränken), von der schwierigen politischen Lage im Irak ganz zu schweigen.
Auch so renommierte Ausstellungen wie die des Vorderasiatischen Museums in Berlin können nur Schlaglichter werfen, riskieren dabei sogar ihrerseits das Bild zu verfälschen: Wer dort das wieder aufgebaute Vortor des großen Ischtar-Tors bewundert, verfällt leicht dem Irrtum, seine blau glasierten Kacheln seien ein allgemeines Kennzeichen der Euphratmetropole gewesen – tatsächlich waren sie wohl eher die Ausnahme. So bleibt Babylon ein mythischer Ort, seine historische Wirklichkeit eine Landkarte, auf der noch zahlreiche weiße Fleck ihrer Erforschung harren.
Über epoc:
epoc, das Magazin für Geschichte, Archäologie und Kultur, erscheint seit 2004. Sechsmal pro Jahr vermitteln Forscher und Fachjournalisten auf mehr als 100 Seiten fundiert und unterhaltsam Wissen über historische Themen und zeigen spannende Zusammenhänge aus Kunst, Kultur und Geistesgeschichte auf. Ein jeweils umfassend beleuchtetes Titelthema zu zentralen Ereignissen, Persönlichkeiten und Kulturen der Welt sowie spannende Reportagen und Essays überzeugen alle zwei Monate rund 40 000 Leser.
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