Aus: Sterne und Weltraum, Juli 2010
Jenseits der Umlaufbahn des Neptun ist das Sonnensystem noch nicht zu Ende. Denn dort, fern von unserem Wärme spendenden Zentralgestirn, beginnt der Kuipergürtel, in dem unzählige eisige Himmelskörper um die Sonne kreisen. Zu den mehr als tausend bereits bekannten Eisbrocken gehören die Zwergplaneten Pluto, Haumea und Makemake. Die meisten dieser Objekte bestehen überwiegend aus gefrorenem Wasser, Ammoniak oder Methan und haben daher eine geringe Dichte.
Eines scheint aber aus der Reihe zu tanzen: Der Himmelskörper „Quaoar“ – der nach einem Schöpfungsgott der Tongva-Indianer benannt wurde – hat eine Dichte von 4,2 Gramm pro Kubikzentimeter, was ungefähr der mittleren Dichte des Mars entspricht. Folglich muss er zu einem großen Teil aus Gestein bestehen. Nur seine Oberfläche besteht offenbar aus Eis. Wie aber kann ein Felsbrocken an den äußersten Rand des Sonnensystems gelangt sein, in die Domäne der Eiswelten?
Wesley Fraser und Michael Brown vom California Institute of Technology stellen gleich drei mögliche Erklärungen zur Diskussion:
Quaoar könnte ursprünglich an einer ganz anderen Stelle entstanden sein – im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, in dem ähnlich kleine, aber aus Gestein bestehende Brocken die Sonne umkreisen. Von dort aus könnte er an den Rand des Sonnensystems katapultiert worden sein. Dann hätte Quaoar – wie die meisten Asteroiden – von vornherein aus Silikatgesteinen bestanden. Allerdings bleibt bei dieser Theorie die Frage offen, warum Quaoar heute einen Mond besitzt.
Wenn Quaoar sich allerdings am Rand des Sonnensystems bildete, sind zwei Szenarien denkbar: Er könnte der Kern eines wesentlich größeren Himmelskörpers sein, der mit einem anderen Objekt kollidierte. Dabei wäre nahezu der gesamte Eismantel verloren gegangen. Quaoars Mond, Weywot genannt, wäre dann ein Überbleibsel dieses Eismantels. Allerdings bliebe noch das Rätsel, warum Weywot heute auf einer sehr schiefen, elliptischen Bahn um den Gesteinsbrocken kreist: Trümmer aus einem Zusammenstoß hätten sich innerhalb weniger tausend Jahre zu einem Mond zusammengeballt, aber dieser würde Quaoar auf einer Kreisbahn umrunden. Denkbar wäre jedoch, dass sich bei der Kollision zwei Monde bildeten: Einer davon wäre später aus der Umlaufbahn geschleudert worden und hätte den anderen auf seiner geneigten Bahn zurückgelassen.
Das dritte Szenario ist eine Variante der Kollisions-Hypothese: Quaoar könnte an einem größeren Himmelskörper vorbeigeschrammt sein, wie bei einem Streifschuss. Dabei wurde sein Eismantel zertrümmert und in der Umgebung verteilt, wobei der Gesteinskern intakt blieb. Durch Wechselwirkungen zwischen dem Gesteinskern, dem Unfallverursacher und den Eistrümmern könnte dann ein Eisbruchstück in einer beliebigen Umlaufbahn um Quaoar zurückgeblieben sein.
Fraser und Brown vermuten, dass es im Kuipergürtel noch mehr Himmelskörper mit hoher Dichte geben muss. Welche ihrer Hypothesen richtig ist, werden zukünftige Untersuchungen zeigen. Die Erforschung des Kuipergürtels trägt dazu bei, die Geschichte des Sonnensystems besser zu verstehen.