Vor mehr als 1100 Jahren bestieg der Norweger Ingólfr Arnarson ein Schiff und machte sich auf, den unwirtlichen Nordatlantik zu queren. Sein Ziel: Island.
Aus: epoc, 4/2010
In der Ausgabe 4/10 erzählt das Magazin epoc aus dem Hause "Spektrum der Wissenschaft«" die wechselvolle Geschichte von der Bauernrepublik, die keinem König untertan sein wollten. Und wie ihre einzigartige mittelalterliche Gesellschaft zwar auf Abstimmung und Kooperation basierte – und doch von Fehden und Blutrache gebeutelt wurde.
Auch wenn die isländischen Gewässer – vom Golfstrom erwärmt – nur selten zu Eis erstarren, bedeutet Ísland tatsächlich "Eisland". So jedenfalls beschrieb der Gelehrte Adam von Bremen um 1070 jenes Eiland, das nach dem Eis benannt sei, das den Ozean gefrieren lasse. Adam setzte es mit dem sagenhaften Thule gleich, eine bis heute verbreitete, gleichwohl falsche Bezeichnung, die ihren Ursprung in einem Reisebericht des Griechen Pytheas von Massalia hat, der um 325 v. Chr. den Norden Europas bereiste. Mit Thule bezeichnete er fruchtbares und dicht bevölkertes Land, das sich vermutlich irgendwo an der norwegischen Küste befand. Island jedenfalls konnte der Gelehrte nicht gemeint haben: Denn damals war die Insel noch menschenleer.
Das änderte sich erst im 9. Jahrhundert n. Chr. Während viele Skandinavier Westeuropa mit ihren Plünderungen und Kriegszügen heimsuchten, zog es die Wikinger von den Fjorden Westnorwegens in den Nordatlantik. Wie isländische Chronisten später notierten, war die Entdeckung der entlegenen Insel einem Zufall zu verdanken. Demnach waren die Norweger viele Jahrzehnte über die Nordsee zu den Britischen Inseln gesegelt und hatten dabei die Orkney-, Shetland-Inseln und schließlich die Färöer erkundet. Auf einer dieser Fahrten war ein Wikinger namens Naddoddr offenbar vom Kurs abgekommen und an der Ostküste Islands gelandet. Nach ihm kamen viele andere dorthin, deren Berichte ziemlich unterschiedlich sind. Während die einen unter Eis und Schnee litten und beklagten, dass ihnen das mitgebrachte Vieh im Winter verhungert sei, priesen andere die fischreichen Gewässer und die fetten Wiesen: "Butter trieft von jedem Halm."
Um Klarheit darüber zu gewinnen, was die Menschen dort wirklich erwartete, unternahm Ingólfr Arnarson, der als erster Siedler Islands gilt, zunächst eine Erkundungsreise. Schließlich befolgte er das Urteil der Götter und entschloss sich zur Auswanderung. An Bord seines Schiffs befanden sich auch die "Hochsitzsäulen" seines Hauses im heimatlichen Norwegen – Holzpfähle mit religiöser Bedeutung. Diese ließ er vor der Küste über Bord werfen: Wo sie angespült würden, wollte er sich niederlassen. Sie fanden sie schließlich in einer Bucht, die Ingólfr wegen ihrer dampfenden heißen Quellen Reykjavík nannte: "Rauchbucht". Der Überlieferung nach ließ er sich mit seinen Leuten 874 dort nieder – heute gilt dies als Gründungsjahr der isländischen Nation.
In epoc 4/2010 beschreibt der renommierte Skandinavist und Autor zahlreicher Sachbücher, Arnulf Krause, die mittelalterliche Geschichte Islands, die so einzigartig wie wechselvoll war. Hier entstand vor gut 1000 Jahren ein Freistaat, der – wenngleich von heftigen Auseinandersetzungen gebeutelt – doch erstaunlich gut funktionierte. Denn auch wenn die Bezeichnung "ältestes Parlament Europas" heutigen Maßstäben auf Grund der ungleichen Machtverhältnisse und wegen seiner fehlenden Durchsetzungskraft sicher übertrieben ist, so wies sein Streben nach einem gesellschaftlichen Konsens und einer balance of power doch durchaus moderne Züge auf. Auch und gerade, indem er den Isländern Umstände bot, in denen die Dichter und Denker der Insel Großes zu leisten vermochten.
Über epoc:
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