Aus: epoc, 4/2010
Es war eine kleine Sensation: Im Jahr 2000 entdeckten Forscher in der heutigen Türkei die antike Stadt Pepouza, das verschollene Zentrum der einflussreichen christlichen Sekte der Montanisten. Bis zu ihrem Untergang im 6. Jahrhundert war die prophetische Bewegung im gesamten Römischen Reich berühmt – und berüchtigt: Denn in der charismatischen Gemeinschaft waren Frauen und Männer gleichberechtigt
Jahrhunderte lang war Pepouza, die Hochburg der als Ketzer verfolgten christlichen Bewegung der Montanisten, nur aus antiken Schriftquellen bekannt. Doch mittlerweile konnten Forscher um Peter Lampe von der Universität Heidelberg sowie William Tabbernee vom Phillips Theological Seminary in Tulsa (USA) das Rätselraten um ihren Verbleib beenden: Die Archäologen entdeckten die antike Siedlung, wo die Nachfolger eines Propheten namens Montanus die Herabkunft des "himmlischen Jerusalem" erwarteten, in einem unzugänglichen Flusstal südlich von Usak in der heutigen Türkei.
Montanismus, so berichtet die aktuelle Ausgabe des Geschichtsmagazins epoc (4/2010) entstand im 2. Jahrhundert in Phrygien in Kleinasien und geht auf ein prophetisch begabtes Gründertrio zurück: Montanus, Priscilla und Maximilla. Die Gemeinschaft unterschied sich von traditionellen christlichen Gemeinden durch rigorose Askese einerseits und ekstatische Elemente andererseits. Besonderen Anstoß erregte sie durch die Gleichstellung von Mann und Frau. Sogar das Priesteramt stand beiden Geschlechtern offen. Die Bewegung erfreute sich großen Zulaufs, weshalb sie sich rasch über das gesamte Römische Reich ausbreitet und auch in Rom, Gallien (Lyon) und Konstantinopel Fuß fasste.
Ihre Anhänger wurden jedoch bald von den Bischöfen der Amtskirche als Ketzer aus der Großkirche ausgeschlossen und von den christlichen Kaisern ab dem 4. Jahrhundert zugunsten eines konservativeren Christentums verfolgt. Das heilige Zentrum Pepouza zog die Menschen jedoch weiterhin an, bis kaiserliche Soldaten 550 n. Chr. den dortigen Schrein mit den Gebeinen der ersten Propheten Montanus, Priscilla und Maximilla zerstörten, ihre Schriften verbrannten und die Montanisten-Kirchen konfiszierten. Den entscheidenden Hinweis, dass es sich bei dem vergessenen Ort um das heilige Zentrum der Montanisten handeln musste, lieferte ein abseits des Flusstals in den Fels gehauenes Kloster. Seit über hundert Jahren versuchen Forscher, Pepouza zu identifizieren, berichtet Lampe, aber vergeblich. In der in Frage kommenden phrygischen Region entdeckten sie zwar zahlreiche antike Siedlungen, doch keiner dieser Orte wies den in den Schriftquellen genannten Klosterkomplex auf – mit Ausnahme des vergessenen Flusstals südlich von Usak.
Oberflächenuntersuchungen mittels Georadar und Geomagnetik sowie verschiedene Grabungen brachten zahlreiche Indizien zutage, die nur den Schluss zulassen: Hier befand sich einst die Hochburg der Montanisten. Die Forscher fanden unter anderem einen Keramikstempel aus dem 5. oder 6. Jahrhundert mit dem die Montanisten Kreuze in den Teig von Broten für die Eucharistiefeier prägten. Geophysikalische Prospektionen offenbaren zahlreiche Gebäudestrukturen unter der Erde, darunter einige große öffentliche Bauten, auch eine Agora.
Über epoc:
epoc, das Magazin für Geschichte, Archäologie und Kultur, erscheint seit 2004. Sechsmal pro Jahr vermitteln Forscher und Fachjournalisten auf mehr als 100 Seiten fundiert und unterhaltsam Wissen über historische Themen und zeigen spannende Zusammenhänge aus Kunst, Kultur und Geistesgeschichte auf. Ein jeweils umfassend beleuchtetes Titelthema zu zentralen Ereignissen, Persönlichkeiten und Kulturen der Welt sowie spannende Reportagen und Essays überzeugen alle zwei Monate rund 40 000 Leser.
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