Drahtlosnetze ohne feste Infrastruktur können jederzeit und überall für Verbindung sorgen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft, Juli 2010
In unserer von Facebook, Twitter und dem iPhone geprägten Zeit halten wir es für selbstverständlich, stets Verbindung zur ganzen Welt aufnehmen zu können. Doch nicht immer und überall existiert die dafür nötige Infrastruktur. In Haiti etwa waren nach dem Erdbeben Anfang des Jahres in den betroffenen Gebieten tagelang alle Kommunikationsmittel außer Satellitentelefonen ausgefallen.
Einen Ausweg in solchen Situationen bieten so genannte Ad hoc-Netze, über die Spektrum der Wissenschaft in seinem Juliheft berichtet. Sie entstehen selbstständig, sobald sich entsprechend programmierte Handys oder andere Kommunikationsmittel nah genug kommen. Dabei fungiert jedes beteiligte Gerät nicht nur als Sender und Empfänger, sondern zugleich als Vermittlungsstelle oder Transmitter für alle anderen innerhalb seiner Reichweite. Auch eine Kommunikation zwischen weiter entfernten Handys ist dadurch möglich, sofern diese über Zwischenglieder miteinander verbunden sind..
Katastrophenhilfe ist nur ein mögliches Einsatzgebiet für Ad-hoc-Netze. Sie bieten sich überall da an, wo der Aufbau einer festen Infrastruktur zu lange dauert, zu schwierig ist oder zu viel kostet. So ließe sich damit an abgelegenen Orten und in strukturschwachen Gegenden ohne Breitbandinfrastruktur ein Hochgeschwindigkeitszugang zum Internet einrichten. Aber auch im Haushalt könnten sich die verschiedenen elektronischen Geräte selbstständig zu einem Ad-hoc-Netz verbinden und automatisch in Kontakt treten..
In den letzten Jahren haben Fortschritte in der Netzwerktheorie den praktischen Einsatz solcher Netze in großem Stil in greifbare Nähe gerückt. Ein Beispiel ist das Projekt "Free-the-Net" des Start-up-Unternehmens Meraki Networks, das inzwischen 400.000 Einwohnern San Franciscos Zugang zum Internet bietet. Eine spezielle Software verbindet dabei Handys, Spielcomputer und Laptops über Bluetooth zu einem kabellosen Netz, das keine explizite Konfiguration erfordert. Allerdings bleiben noch etliche Probleme zu lösen, bevor die Technik überall einsetzbar ist.
Das liegt an den hohen Anforderungen, die Ad-hoc-Netze zu erfüllen haben. So müssen sie die Information in einer Form weiterleiten, dass sich eine Nachricht selbst dann noch rekonstruieren lässt, wenn einige der Stationen zwischen Sender und Empfänger während der Übertragung ausfallen, etwa weil Handys abgeschaltet werden, keinen Strom mehr haben oder außer Reichweite geraten. Das System muss außerdem den besten Weg zum Adressaten finden, obwohl das sendende Gerät keine Möglichkeit hat, den Standort des Empfängers zu bestimmen. Schließlich muss das Netz mit dem allgegenwärtigen Rauschen fertig werden, das die Vielzahl gleichzeitig sendender und empfangender Geräte verursacht.
Um die Ausfallsicherheit zu gewährleisten, zerlegt man jede Nachricht in Häppchen und ermittelt von diesen jeweils eine Zusatzinformation, die auf getrenntem Weg versendet wird. Die Zerlegung in Häppchen hilft auch, Störungen durch gleichzeitig eingehende Nachrichten zu vermeiden. Dazu werden die Informationsbrocken nicht in dem gleichmäßigen Strom verschickt, in dem sie anfallen, sondern in kurzen Pulsen mit langen Pausen dazwischen, in denen das System für andere Nachrichten frei ist.
Am schwierigsten gestaltet sich die Lösung für das Problem, den Weg zum Empfänger zu finden. Dazu muss jedes Gerät ständig eine aktuelle Liste aller anderen innerhalb seiner Reichweite parat halten. Dadurch lassen sich über eine Suche im Netz Ketten von Stationen ermitteln, die eine Verbindung vom Sender zum Empfänger herstellen..
Auch wenn solche Probleme inzwischen weitgehend gelöst sind, bleibt es schwierig, die Leistungsfähigkeit eines Ad-hoc-Netzes exakt zu bestimmen. Wie hängt die Übertragungsgeschwindigkeit von der Anzahl der Teilnehmer und ihrer gegenseitigen Störung ab? Was geschieht, wenn sich alle Geräte bewegen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Übertragungsgeschwindigkeit, Verzögerungen zur Vermeidung von Interferenzen und der Robustheit des Gesamtsystems?
Über solche Fragen wird derzeit intensiv geforscht. Und von den Antworten hängt es ab, welche Bedeutung Ad-hoc-Netze letztlich erlangen dürften. Sicher werden sie die bestehenden Mobilfunk-Infrastruktur nicht ablösen. In kritischen Situationen jedoch – etwa bei einer Naturkatastrophe, welche die Stromversorgung oder die Kabelverbindungen unterbricht – können sie ein entscheidendes Kommunikationsmittel sein. Dann kommt es darauf an, ihre Leistungsgrenzen voll auszureizen.