Freitag, 6. August 2010

Hexenverfolgung: Im Bund mit dem Teufel

Drei Historiker erklären, warum Klimawandel, Dämonenglaube und die frühneuzeitliche Justiz 50.000 Opfer forderten.

Aus: epoc, Ausgabe 5/2010

Die Hexenjagd war "eine der schlimmsten von Menschenhand angerichteten Katastrophen der europäischen Geschichte", urteilte der der Historiker Wolfgang Behringer 2002. Seit Anfang des 15. Jahrhunderts wurden Verdächtige verhaftet, gefoltert und zum Tod verurteilt. Frühere Historiker gingen davon aus, dass die Prozesse mehrere Millionen Opfer forderten. Inzwischen haben Wissenschaftler diese Zahlen, die zum Teil auf abenteuerlichen Hochrechnungen des 18. Jahrhunderts beruhten, erheblich nach unten korrigiert – ohne dass das Phänomen dadurch seinen Schrecken verloren hätte: Vorsichtige Schätzungen gehen nun von europaweit rund 50 000 Hinrichtungen zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert aus.

Die Verfolgungen begannen in der Schweiz. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts lagen die am schwersten betroffenen Gebiete im deutschsprachigen Mitteleuropa. Eine Reihe von Faktoren traf aufeinander und verursachten das wellenförmige An- und Abschwellen der massenhaften Verfolgungen. In seinem Beitrag im Geschichtsmagazin "epoc" (epoc 5/010) erläutert der Historiker Johannes Dillinger von der Universität Mainz, dass die Klimaverschlechterung durch die Kleine Eiszeit und die daraus resultierende Erntekrise die Basis dieses Phänomens bildeten.

Dillinger erklärt, wie die Prozessverwaltung funktionierte, warum in Territorien mit autonomen Gerichten häufig eine intensive Verfolgungspraxis herrschte und wieso kurze Wege innerhalb des Justizsystems besonders viele Opfer forderten. Die Verfolger trieb kein manischer Wahn an, wie die Historikerin Laura Stokes von der Stanford University in Kalifornien erläutert. Hinter dem vermeintlichen Verbrechen der "Hexerei" stand eine durch Gelehrte propagierte Theorie. Den Abhandlungen zufolge bestand das Delikt aus den fünf Elementen Teufelspakt und -buhlschaft, Hexenflug, Teilnahme am Hexensabbat – dem Tanz mit dem Teufel, zu dem sie sich regelmäßig und heimlich trafen – und dem Ausführen von Schadenszauber. Weil die Hexen im Bund mit dem Teufel die christliche Gesellschaft zerstören wollten, fühlten sich manche der Juristen und Theologen bedroht –und forderten das Todesurteil für die Delinquenten.

Den Befürwortern standen schon damals Verfolgungsgegner gegenüber, die die Existenz von Hexen bezweifelten und sich dagegen aussprachen, die Prozesse als Notstandsverfahren durchzuführen. Darüber berichtet der Geschichtswissenschaftler Jürgen Michael Schmidt von der Universität Tübingen im Interview. Wenige Indizien reichten dabei aus, um Angeklagte zu foltern und anschließend zu töten. Die Kritiker forderten ordentliche Verhandlungen auf Grundlage des gültigen Reichsrechts. Doch ihre Traktate allein konnten die "Katastrophe von Menschenhand" nicht aufhalten. Erst nach und nach setzten strukturelle Verbesserungen ein: In Justiz und Verwaltung arbeiteten zunehmend gut ausgebildete Beamte, die juristischen Institutionen wurden zentralisiert und die Kontrolle verbessert. So zynisches klingt: Im Dreißigjährigen Krieg starben so viele Menschen, dass Missernten kein Krisenpotenzial mehr besaßen. Die letzte "Hexe" in Europa wurde 1782 im Kanton Glarus ermordet.

Über epoc:
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