Philosophen suchen neue Antworten auf alte Grundfragen der Menschheit / Spektrum der Wissenschaft startet zwölfteilige Serie
Aus: Spektrum der Wissenschaft, März 2011
Was ist der Mensch? Hat er einen freien Willen? Was ist Bewusstsein? Was können wir überhaupt wissen? Können wir andere verstehen? Wie steht es um die Rechte des Menschen? Was ist Gerechtigkeit? Wie verhält sich Sprache zum Denken?
Viele der großen Fragen der Menschheit haben schon die Philosophen der Antike aufgeworfen. Aber in einer Welt, die sich rascher verändert als je zuvor, gilt es, neue Antworten auf diese Grundfragen zu finden – und es treten neue hinzu, die sich aus einer Gegenwart ergeben, die immer komplexer wird, in der bald sieben Milliarden Menschen den Planeten besiedeln werden, und in der auch Wissenschaft und Technik einen ungeahnten Siegeszug angetreten haben.
Es sollte eigentlich nicht überraschen, dass auch Philosophen auf solche Zeichen der Zeit reagieren und nach neuen Antworten auf die Grundfragen der Zeit und des Menschseins suchen. Deshalb stellt Spektrum der Wissenschaft diese Themen in einer zwölfteiligen Serie dar – beginnend mit der aktuellen März-Ausgabe. Schon in der ersten Folge geht es um "Eingemachtes": "Wer bin ich?" fragt der Bochumer Wissenschaftsphilosoph Albert Newen, der auch die wissenschaftliche Koordination der ganze Serie übernommen hat. Und in der gleichen Ausgabe behandelt der Berliner Philosoph Michael Pauen das Thema Willensfreiheit und spricht von einer "Frage der Selbstbestimmung". Es scheint, als würden Philosophen ihren traditionellen Elfenbeinturm verlassen und sich verstärkt um empirische Belege für ihre Thesen und Theorien bemühen. Wenn nicht alle Zeichen trügen, so durchläuft diese älteste akademische Disziplin des Abendlandes derzeit buchstäblich einen Denkwandel.
Das wird offenkundig, wenn man sich die Situation noch vor wenigen Jahren vor Augen führt. Philosophie – das galt vielen als eine Disziplin, die sich in historische Fragen ihrer eigenen Themen vergrub; und unter Naturwissenschaftlern hörte man nicht selten den Kommentar: "Die Philosophie, die wir brauchen, machen wir uns selbst." Doch offenbar haben sich die Zeiten geändert. Das hat auch mit der Tatsache zu tun, dass inzwischen eine jüngere Generation Philosophen herangewachsen ist, die sich und die Welt neu unter die Lupe nehmen. Und es liegt an zwei Umwälzungen: am Siegeszug der Analytischen Philosophie und an der damit einhergehenden Internationalisierung des Fachs sowie an einem Schulterschluss mit den Naturwissenschaften. Offenbar wird nunmehr eine Philosophie betrieben, die bestrebt ist, "stets auf der Höhe der Naturwissenschaften" zu agieren.
Was also ist das Neue, das die Philosophie endlich von einer Beschäftigung mit der Historie in die Moderne des 21. Jahrhunderts katapultiert? Albert Newen positioniert die Philosophie nicht mehr (wie früher) über, sondern neben den anderen Forschungsdisziplinen – mit denen es zu kooperieren gilt. Außerdem habe die Analytische Philosophie "den argumentativen Standard" des Fachs deutlich gehoben und eine einheitliche Form etabliert. Es könne zwar verschiedene Annahmen geben, "aber nur eine Form der Argumentation".
Schließlich gehe es darum, so Newen, "andere Fächer als wesentliche Kontrolle und Quelle philosophischer Theoriebildung" einzubeziehen, zumal die empirischen Wissenschaften. Newen fordert, in diesem Punkt aus dem Schatten des Übervaters Kant herauszutreten, mit dessen überholtem Selbstverständnis, "dass Philosophie sich keinen Deut um die Empirie zu kümmern brauche und auch nicht kümmern soll".
Glücklicherweise scheint unter Philosophen eine solche Haltung heute nicht mehr mehrheitsfähig: Im Eingangsinterview der Serie des März-Ausgabe von Spektrum spricht auch Julian Nida-Rümelin, derzeit Präsident der Deutschen Philosophischen Gesellschaft, von dem neuen Geist, der seine Innung erfasst hat: "Die Philosophie als Disziplin ist heute weniger im Elfenbeinturm als je zuvor."