Montag, 21. März 2011

Eine jüdische deutsche Intellektuelle nimmt unsere Epoche vorweg

200. Geburtstag von Fanny Lewald am 24. März 2011

Die deutsche Schriftstellerin und Vordenkerin Fanny Lewald tritt aus dem Familientabu, jüdischer Herkunft zu sein, heraus und propagiert den androgynen Menschen und die Selbstbestimmung der Frau. In bewegten politischen Zeiten einer europäischen Epochenwende tritt sie öffentlich für die Wertschätzung der Frau ein. Sie wird berühmt mit der Betonung weiblicher Wandlungsfähigkeit und ihrem konstanten Werben für die Gleichberechtigung von Frau und Mann.

Als erstes Kind von David und Zipora Marcus hält Fanny rückblickend ihren Geburtsort Königsberg aufgrund des aufgeklärten Geistes für einen Glücksfall. Sie hat eine enge Bindung zum Vater, dieser legt jedoch mit eiserner Hand ihren Werdegang fest. Der Vater wählt den Familiennamen Lewald, um so die jüdische Herkunft zu verbergen. Dadurch dass sie wie ihre Brüder in eine pietistische Schule eintreten darf, wird Fannys Ehrgeiz geweckt. Ab ihrem 13. Lebensjahr wird sie jedoch für die häusliche Rolle dressiert. Sie erlebt die Familienliebe als Tyrannei. Der Vater löst ohne Erklärung ihre erste Liebesbeziehung und bestimmt, wann sie zum Protestantismus überzutreten hat.

Der erste Schritt hin zur eigenen Emanzipation ist die Ablehnung des Heiratskandidaten. Kindheit und Jugend verarbeitet Fanny in einem Bildungsroman. Zunächst muss sie anonym veröffentlichen, weil die Familie es so will. Ihre Mutter erlebt den Publikumserfolg der drei Vormärz-Romane „Clementine“, „Jenny“ und „Eine Lebensfrage“ (1843-1845) nicht mehr. Fanny hat sich eine Lebensperspektive eröffnet: Sie kann sich nun selbst ernähren, eine Wohnung in Berlin beziehen, aus Neigung heiraten oder ledig bleiben. Andere Frauen geben ihr Modelle der Unabhängigkeit.

Frauen prägen entscheidend ihr Selbstbewusstsein: Rahel Varnhagens Briefe und Freundinnen wie Therese von Bacheracht, Elisabeth Baumann und Adele Schopenhauer begleiten sie. Fanny wählt ganz die schriftstellerische Laufbahn, übernimmt nach dem Tode des Vaters die Verantwortung für zwei jüngere Schwestern und entschließt sich zur Öffentlichkeit im Berufs- und Privatleben. 1846 hatte sie sich in den verheirateten Gymnasiallehrer und Philologen Adolf Stahr verliebt. Erst 1855, nachdem Stahrs erste Ehe endlich geschieden ist, heiraten sie. Fanny entscheidet, dass sie weiter über ihr eigenes Geld verfügen wird und behält als »weiblicher Autor« ihren eigenen Namen Lewald.

Das Familienleben mit dem oft kranken Mann und seinen zwei Söhnen aus erster Ehe bringt Belastungen in ihr Leben, aber auch Freude: Stahr unterstützt sie auf ihrem Weg.

Inzwischen erlebt sie 1848 die Revolution in Paris und Berlin. 1850 reist sie nach England und Schottland. Reiseliteratur wird sehr beliebt. Unter den vielen, die ihren Salon frequentieren, sind Ferdinand Lassalle und George Sand. Sie kehrt Tendenzromanen und phantastischen Erzählungen den Rücken und schreibt realistisch. Ihr wichtige Themen sind eine androgyne Menschlichkeit und Figuren die sich als wandlungsfähig erweisen – Frauen, die mutig neue Wege beschreiten, und mütterliche Männer. Fanny Lewald nimmt anderthalb Jahrhunderte vor unserer Zeit Entwicklungstendenzen unserer Epoche vorweg.

Neben den großen Romanen „Wandlungen“ (1853), „Von Geschlecht zu Geschlecht“ (1864-1866) und vielen Erzählungsbänden veröffentlicht sie Aufsätze zur Gleichberechtigung: „Osterbriefe für die Frauen“ (1863) und „Für und wider die Frauen“ (1870). Sie steht auf dem Standpunkt, dass Frauen genau so begabt sind wie Männer. Sie verlangt das Selbstbestimmungsrecht und die Gleichstellung in Arbeitswelt und Ehe. Das allgemeine Wahlrecht visiert sie für eine Zeit an, da Frauen gebildeter sein würden. Gymnasien und Universitäten sollten Frauen ihre Türen öffnen. Sie empfiehlt ihren bürgerlichen Leserinnen schwesterliche Solidarität mit Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen und jede praktische Neuerung wie z. B. Gemeinschaftsküchen.

Mit Stahrs Tod 1876 erlebt sie einen Tiefpunkt, findet dann aber zu neuer Kraft in Rom. Sie bleibt eine unermüdliche Schreiberin. In den letzten Jahren arbeitet sie an ihrem Tagebuch mit Aphorismen, „Gefühltes und Gedachtes“, und ordnet Briefe für den Nachlass. Die Memoiren „Zwölf Bilder nach dem Leben“ erscheinen 1888. Sie stirbt unterwegs auf einer ihrer zahlreichen Reisen am 5. August 1889 in Dresden. Am 9. August wird sie in Wiesbaden beigesetzt. Die Männer der nächsten Generation würdigen sie als »preußische Patriarchin«. Frauen ist sie bis heute als »Bahnbrecherin« in Erinnerung.

Originalzitat Fanny Lewald: „Arbeiten und nicht müde werden!“

FemBio (Hannover/Boston) von Professorin Luise F. Pusch ist das weltweit umfassendste Frauenbiographie-Portal und steht für den größten Schatz an verfügbaren Frauenbiographien – mit den Schwerpunkten Europa und Amerika.

Original-FemBiografie zu Fanny Lewald von Margaret E. Ward auf http://www.fembio.org
Bearbeitung:
Evelyn Thriene