Vor rund 20 Jahren wurden in Deutschland die ersten geschichtswissenschaftlichen Internetseiten freigeschaltet. Längst erleichtert das interaktive Medium auch die Zusammenarbeit von Forschern. In der aktuellen Ausgabe von epoc (3/2011) erklären Historiker, welche Chancen das Web 2.0 ihnen bietet – und vor welche Probleme es sie stellt. Im Interview erklärt zudem der Mediävist Johannes Fried von der Universität Frankfurt, warum er das elektronische Nachschlagewerk Wikipedia genial findet.
Aus: epoc, Ausgabe 3/2011
Seit 2004 boomen im Internet vor allem interaktive Angebote wie soziale Netzwerke, Blogs und Onlineenzyklopädien. "Die Technik erleichtert die Kommunikation zwischen den Kolleginnen und Kollegen und ermöglicht zugleich einen niederschwelligen Austausch mit interessierten Laien", bilanziert die Historikerin an der Universität Siegen Angela Schwarz. Sie nutzt die technischen Möglichkeiten auch für ihre wissenschaftliche Arbeit und durchforstet im Netz Bibliotheksbestände, Bücher sowie Archive. Nutzer stellen immer öfter privaten Erinnerungsstücke ins Netz und beeinflussen so auch die Geschichtsschreibung: "Damit sind für künftige Aufarbeitungen unserer Zeitgeschichte viel mehr Quellen vorhanden als bisher", ist Schwarz überzeugt.
Der Privatdozent für Geschichte an der Universität Basel, Peter Haber, hat eine Plattform zum Thema Geschichtswissenschaften geschaffen. Besucher können sich hier über Forschungsprojekte, Publikationen und Unterrichtsmaterialien informieren, bloggen und an einem Wiki mitschreiben. Haber ist überzeugt, dass solche niederschwelligen wissenschaftlichen Foren die Zusammenarbeit von Laien und Experten fördern, zum Beispiel bei der kollaborativen Methode der Quellenerfassung. Darüber hinaus lassen sie eine neue gesellschaftliche Form der Erinnerungskultur entstehen.
Doch die Darstellung von wissenschaftlichen Inhalten im Internet hat auch ihre Tücken: Die Authentizität von digitalen Quellen und Autoren lässt sich nur schwer prüfen. Und weil man den Internetnutzern nicht so viel zumuten will, sind die Texte im Netz kürzer als in gedruckten Publikationen. Das könnte auf ein vereinfachtes Geschichtsbild hinauslaufen, befürchten einige Wissenschaftler, im schlimmsten Fall sogar das wissenschaftliche Niveau senken.
Bisher wenden Geschichtswissenschaftler in Deutschland die Möglichkeiten der gemeinschaftlichen Lern- und Kommunikationsprozesse jedoch eher zögerlich an. "Noch gibt es keinen Historiker, den man über seinen Blog identifiziert", resümiert der Historiker Wolfgang Schmale von der Universität Wien. "Das läuft immer noch über das wissenschaftliche Buch." Doch die gedruckten akademischen Wälzer werden immer weniger gelesen – irgendwann könnte diese altehrwürdige Art, Forschungsergebnisse zu präsentieren, überholt sein. Schmale ist sich sicher: "Das wird die Chance für den Durchbruch von Web 2.0 und der digitalen Geschichtswissenschaft sein."
Bei den Nachschlagewerken hat dieser Prozess schon längst begonnen, ist der Mittelalterhistoriker Johannes Fried von der Universität Frankfurt überzeugt: "In zehn Jahren wird Wikipedia das schnellste, aktuellste und präziseste Nachschlagewerk weltweit sein – in meinen Augen ist es schon heute das beste Konversationslexikon. Ich halte es für eine geniale Idee."