Dienstag, 16. Dezember 2008

Sprachanalyse: Du bist, was du sprichst

Die Statistik lügt nicht, behauptet der Psychologe James W. Pennebaker – und will die Persönlichkeit von Rednern und Autoren mittels elektronischer Sprachanalyse enttarnen.

Für Aufsehen sorgte kürzlich eine Studie des amerikanischen Psychologen James W. Penneberger von der Texas University in Austin. Auf der Website www.wordwatchers.wordpress.com veröffentlichte der Sprachforscher ein Psychogramm der US-Präsidentschaftskandidaten 2008 John McCain und Barack Obama. Sein Computerprogramm LIWC (Linguistic Inquiry and Word Count), so Pennebaker, könne allein mittels statistischer Analyse auf die Persönlichkeit der Redner schließen. Ergebnis: Republikaner McCain sei emotional, direkt und zukunftsorientiert. Dem letztlich siegreichen Obama attestierte die Software einen eher reservierten und überlegten Charakter.

Was auf den ersten Blick überzeugend klingt, ist unter Experten höchst umstritten, berichtet die aktuelle Ausgabe von Gehirn&Geist (1-2/2009). Kritiker bemängeln, dass rein statistische Analysen den individuellen Kontext der Texte vernachlässigen. Befürworter halten entgegen, ein computergestütztes Verfahren liefere objektivere Ergebnisse als menschliche Sprachgutachter – gerade weil es von inhaltlichen Zusammenhängen und stilistischen Tendenzen unbeeindruckt arbeite.

»Es ist von der Psychologie praktisch unbemerkt geblieben, dass vor allem die ›kleinen‹ Wörter wie ›ich‹, ›wir‹, ›ein‹ oder ›alle‹ Rückschlüsse auf das Verhalten zulassen«, kommentiert Pennebaker. Substantive, Verben und Adjektive mögen die Bedeutung eines Satzes tragen, würden deshalb aber auch bewusster eingesetzt. Welche Pronomen besonders häufig benutzt werden, kontrolliere kaum jemand. Das Prinzip wird in Pennebakers »Al-Kaida-Studie« deutlich: 2007 analysierte er im Auftrag der amerikanischen Bundespolizei (FBI) insgesamt 58 Texte von Osama Bin Laden und Aiman Al-Zawahiri, der als Nummer zwei in der Hierarchie der Terrororganisation gilt. Als Vergleichsmaßstab zog er 17 Proben anderer extremistischer Pamphlete heran.

Drei der LIWC-Kategorien stachen besonders heraus: Erstens verwendeten Bin Laden und Zawahiri signifikant mehr Emotionswörter, darunter überdurchschnittlich viele feindselige. Zweitens traten Verben selten in ihrer Vergangenheitsform auf. Die Wissenschaftler deuteten dies als vermindertes Interesse an zurückliegenden Ereignissen. Drittens fiel den Forschern insbesondere der hohe Anteil von Pronomen der 3. Person Plural (»sie«, »ihnen«, et cetera) auf. Al-Kaida definiere sich stärker als andere Terroristengruppen über die Abgrenzung zu einer Gegnerschaft, so die Schlussfolgerung – nach dem Motto: »Wir gegen die im Westen!« Schon im Vorfeld der Studie hatten die Forscher LIWC-Befunde mit Einschätzungen unabhängiger Beobachter abgeglichen und ermittelt, dass sich der Grad des Extremismus einer Gruppe am besten auf Grund der Pronomen der 3. Person Plural vorhersagen lasse.

Dass die Ergebnisse seines Verfahrens nur begründete Vermutungen sind, räumt Pennebaker ein. Für eine standartisierte Interpretation sei es noch zu früh. In diesem Sinne würdigen auch manche Kollegen Pennebakers Programm. So etwa Roderick Hart vom College of Communication der University of Texas in Austin; er vergleicht die Sprachanalyse mit dem Ziel eine unbekannte Stadt kennen zu lernen: Der eine überfliegt sie mit dem Hubschrauber, der andere geht zu Fuß. Beim »Überfliegen« von Texten mit Programmen wie LIWC mag man einige Details verpassen, die beim persönlichen Lesen auffallen – im Gegenzug erhalte man jedoch einen unschätzbaren Ausblick aufs gesamte Panorama.

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