In den kosmischen Kinderstuben herrscht Gedränge
Aus: Spektrum der Wissenschaft, Februar 2011
Wie entsteht ein Stern? Das ist doch längst bekannt, möchte man meinen. Am Anfang steht eine riesige Wolke aus Gas und Staub, die im interstellaren Raum treibt. Allmählich überwindet die Gravitation den Widerstand des Gasdrucks: Die Wolke beginnt unter ihrem eigenen Gewicht zu kollabieren. Sie wird dadurch schließlich so dicht und heiß, dass Atomkerne verschmelzen und gewaltige Mengen nuklearer Fusionsenergie freisetzen. Die so erzeugte Wärme erhöht den inneren Druck und bringt den Kollaps zum Stillstand. Der neue Stern erreicht ein dynamisches Gleichgewicht, das Millionen oder – wie bei unserer Sonne – gar Milliarden Jahre andauern kann.
Diese Standardtheorie ist widerspruchsfrei und stimmt mit den Beobachtungen überein – doch vollständig ist sie keineswegs. Jeder Satz des vorigen Abschnitts schreit geradezu nach einer Erklärung, mahnt Astronom Erick T. Young in der Februar-Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft. Er zählt peinliche Fragen auf, die offen bleiben: Wenn die dichten Kerne der Wolken gleichsam die Eier sind, aus denen später Sterne schlüpfen, wo sind dann die kosmischen Hühner? Schließlich müssen die Wolken selbst von irgendwoher kommen. Aber ihre Herkunft ist weit gehend unklar. – Und: Wie beeinflussen keimende Sterne einander? Die Standardtheorie beschreibt einzelne, isolierte Entstehungsprozesse; doch die meisten Sterne bilden sich in enger Nachbarschaft. Seit kurzem vermuten Forscher sogar, dass auch unsere Sonne aus einem Sternhaufen hervorging, der sich seither zerstreut hat.
Und schließlich: Wie entstehen sehr massereiche Sterne? Die Standardtheorie funktioniert ganz gut für Objekte bis zum Zwanzigfachen der Sonnenmasse, aber bei größeren Gebilden versagt sie. Bekannt sind immerhin Sterne von bis zu 200 Sonnenmassen.
Solche Mängel in ihrer Theorie lassen Astronomen keine Ruhe. Denn die Sternentstehung liegt fast allem zu Grunde, was sie interessiert – von der Bildung der Galaxien bis zur Entstehung der Planeten. Immerhin zeichnet sich eines ab: Die Theorie muss die Umwelt des Sternkeims einbeziehen. Der Endzustand des neuen Sterns hängt stark von den Einflüssen seiner Umgebung und benachbarter Sterne ab.
Näheres wissen die Astronomen erst seit den 1990er Jahren, als Infrarot-Teleskope erstmals die dichten Staubwolken durchdrangen, aus denen neue Sterne hervorgehen. Dabei spielt offenbar die Nachbarschaft anderer Sterne eine wichtige Rolle: Sie sorgen für Turbulenzen im interstellaren Medium, und der Druck ihrer Strahlung ballt das interstellare Gas hier und da zusammen, bis es unter dem Sog der eigenen Schwerkraft zu neuen Sternen kollabiert. Aber wie kann es massereiche Sterne mit mehr als rund 20 Sonnenmassen geben? Sobald ein wachsender Jungstern diese Schwelle überschreitet, sollte der Druck seiner Strahlung eigentlich die Gravitation überwinden und verhindern, dass das Gebilde weiter wächst. Außerdem zerstreut der Sternwind – von einem derart massereichen Himmelskörper kontinuierlich ausgesandte Teilchen – die umgebende Wolke, beschränkt dadurch sein Wachstum noch mehr und stört obendrein die Bildung benachbarter Sterne.
Einen Ausweg aus dem Dilemma weisen dreidimensionale Computersimulationen, die kürzlich an der University of California durchgeführt wurden. Demnach verläuft das Sternwachstum überraschend kompliziert. Der einfallende Materiestrom erweist sich als äußerst ungleichmäßig: Dichte Regionen wechseln mit Blasen, durch die Strahlung bevorzugt nach außen dringen kann. Deshalb muss der Strahlungsdruck kein Hindernis für weiteres Wachstum sein. Das dichte einströmende Material bildet zudem gern Begleitsterne; das erklärt, warum massereiche Sterne selten allein zu beobachten sind.
Erick T. Young und seine Kollegen suchen nun mit dem Spitzer-Infrarot-Weltraumteleskop nach einer Bestätigung des Modells.