Aus: Spektrum der Wissenschaft, März 2013
Heidelberg. Welche der Kulturen Altamerikas als erste Zeichen nutzte, um Botschaften in Stein zu fixieren, darüber lässt sich lediglich spekulieren. Auch dass nur die Maya die Entwicklung bis zu einem komplexen Schriftsystem konsequent verfolgten, bleibt ein Rätsel.
Lesen und Schreiben ist uns heute so vertraut, dass wir es für komplexe Gesellschaften für selbstverständlich halten. Das Reich der Inka in den mittleren Anden ist vermutlich ein Gegenbeispiel dafür. Noch haben Experten nicht herausgefunden, ob in den als Quipu bezeichneten Knotenschnüren auch Textinformationen enthalten sind. Anders hingegen in den Kulturen Mittelamerikas. Wer jedoch Gelegenheit hat, die beeindruckende Ruinenstätte Monte Albán im heutigen mexikanischen Bundesstaat Oaxaca zu besuchen, der sollte auf die steinernen Stelen achten: Einige davon gehören zu den ältesten Amerikas und wurden irgendwann ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. von den Bewohnern des Ortes aufgestellt. Das wirklich Besondere aber sind die Zeichen darauf, wie Spektrum der Wissenschaft in seiner März-Ausgabe berichtet.
Manche sind aus Köpfen von Menschen und Tieren zusammengesetzt, andere bestehen aus Händen, wieder andere wirken abstrakt und lassen sich keinen natürlichen Vorbildern zuordnen. Vor allem aber sind sie übereinander angeordnet. Das alles verrät Inschriftenexperten, dass diese Zeichen im Stein nicht Schmuck waren oder Kunst, sondern ein Text. Die Menschen von Monte Albán wollten dem Betrachter eine Botschaft übermitteln! Welchen Inhalt die hatte, darüber rätseln Forscher noch.
Einfacher zu verstehen sind die häufig auftauchenden Balken und Scheiben, denn mit diesen Zeichen schrieben viele Kulturen Mittelamerikas über Jahrhunderte hinweg Zahlen. Mit Scheiben schrieb man die Ziffern Eins bis Vier, Balken standen für eine Fünf. In diesem Kode ist beispielsweise das Datum verfasst, an dem für die Maya die Welt ihren Anfang nahm: in unserem Kalender war das am 11. August 3114 v. Chr.
Andere Botschaften geben ihre Geheimnisse nur widerwillig preis. Da wäre die so genannte Stele 1 aus dem Fundort La Mojarra. Ihre 535 Symbole entstammen offenbar einem bereits gut entwickelten System aus Wort- und Silbenzeichen. Amerikanische Linguisten hatten eine Übersetzung ausgearbeitet, der zufolge die Taten eines heute längst vergessenen Herrschers auf dem Stein gerühmt werden. Allerdings ließ sich mit den Schriftzeichen eines anderen Monuments kein sinnvoller Text gewinnen und nicht wenige Fachleute glauben, dass sich die Forscher irrten.
Als einzige Kultur Mesoamerikas entwickelten aber lediglich die Maya ihre Schrift so weit, dass sie auch Geschichten erzählen konnte: Mythen über die Götter, Erzählungen von Eroberungen, und immer wieder das Loblied auf die Herrscher, die miteinander immer im Wettstreit lagen. Im 10. Jahrhundert ging die große Zeit der Maya zu Ende, ihre Schriftkultur jedoch überdauerte. Nach der spanischen Eroberung im 16. Jahrhundert konnten sich noch manche Maya darin ausdrücken und die Entzifferung ihrer Texte nahm ihren Ausgangspunkt. Dadurch kennen wir keine andere Kultur Altamerikas und ihre Entwicklung so gut wie die der Maya.