Heidelberg. Das Universum ist kein gemütlicher Ort. Vielmehr toben Stürme, explodieren Sterne, rasen Teilchen und Strahlen mit sonst unerreichten Energien durchs All. Ihren Ursachen auf die Spur kommen wollen Forscher mit den größten Teleskopen – auf der Erde und im Weltall.
Aus: Spektrum der Wissenschaft, April 2012
Zum Auftakt einer sechsteiligen Serie "Die größten Rätsel der Astronomie" berichtet der Astrophysiker Gerhard Börner vom Max-Planck-Institut für Astrophysik über die energiereichsten Prozesse des Weltalls – Vorgänge, deren Geheimnis erst in Ansätzen gelüftet sind. Seit einem Jahrhundert registrieren Astronomen nämlich ein Art heißen, hochenergetischen Wind, der durch das Weltall fegt: Gammastrahlen und schnelle Teilchen, genannt "Kosmische Strahlung".
Die Forscher rätseln, welche Ereignisse die Partikel auf so hohe Energie beschleunigen. Noch reichen die Beobachtungen nicht wirklich aus, um die Quellen am Himmel eindeutig zu lokalisieren. Die Modelle für die kosmischen Beschleuniger variieren von klassischen bis zu exotischen Mechanismen. Doch auch da sind sich die Forscher noch lange nicht einig. Denn es geht um Prozesse, die das Leistungsvermögen irdischer Teilchenschleuniger bei weitem übertreffen.
Der friedliche Nachthimmel mit seinen leicht funkelnden Sternen am Firmament, den wir mit bloßen Augen sehen verrät nichts von dem wilden Geschehen, das sich permanent im Weltraum abspielt. Das tritt erst im Bereich sehr kurzwelliger und energiereicher Strahlung in Erscheinung. Ab und zu trifft ein geladenes Teilchen mit extrem hoher Energie auf die Lufthülle der Erde und erzeugt eine Kaskade von weiteren Teilchen ("Sekundärteilchen"), von denen ein Teil schließlich bis zur Erdoberfläche dringt. Diese "kosmische Strahlung" – wie sie etwas unzutreffend heißt, denn es handelt sich ja um einen Strom aus Partikeln – entdeckte Victor Hess Anfang des 20. Jahrhunderts bei spektakulären Ballonflügen. 1936 erhielt der österreich-amerikanische Physiker dafür den Nobelpreis für Physik. Inzwischen hat man Teilchen der kosmischen Strahlung mit Energien entdeckt, die 1020 Elektronenvolt (eV) überschreiten – die höchsten je in der Natur gefundenen.
Offensichtlich gibt es irgendwo da draußen Teilchenfabriken, die Partikel mit 100 Millionen mal mehr Energie erzeugen, als der größte Beschleuniger der Erde zuwege bringt: der Large Hadron Collider am Cern in Genf. Kosmische Strahlen mit solch riesigen Energien geben den Wissenschaftlern einige Rätsel auf: Was sind das überhaupt für Teilchen? Woher stammen sie? Was hat sie auf derart hohe Werte beschleunigt? Zumindest über letztere Frage besteht Einigkeit: Höchstwahrscheinlich werden solche geladenen Partikel in großräumigen kosmischen Magnetfeldern beschleunigt; dabei wird stets auch hochenergetische Strahlung ausgesandt. Doch welche Prozesse sich jeweils im Detail abspielen, ist umstritten – und manches Modell scheint an die Grenzen der Vorstellungskraft zu sprengen. Der Astrophysiker Gerhard Börner versucht in seinem Bericht, das Spekulative vom halbwegs Realistischen zu trennen.
Auch die weiteren Folgen der Serie – Schwarze Löcher, Entstehung von Galaxien, die Suche nach Super-Erden, Geburt und Tod von Sternen – liefern Einblicke in die aktuelle Erforschung von Objekten, die wir besser verstehen sollten, wenn wir wissen wollen, in welcher Welt wir eigentlich leben. Der Abschluss der Serie in der September-Ausgabe widmet sich dem buchstäblich größten Rätsel von allen: der enigmatischen Dunklen Materie und der Dunklen Energie, die offenbar das Universum bis ins Unendliche beschleunigen.